Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden
los?« fragte sie. »Ist es immer noch nicht fertig?«
Wieder stahl sich jener sehnsüchtige Ausdruck in Kadras Gesicht. »Der Rumpf und der Kiel sind fertig. Die Zwischendecks auch, jetzt arbeiten sie am Oberdeck. Wenn das eingezogen ist, kommen die Zimmerleute an Bord und bauen die Kabinen. Vor zehn Tagen haben sie die Masten den Fluß heruntergeflößt. Es ist sogar möglich, daß es bis zum Fest noch fertig wird.«
»Wie soll es heißen?« fragte Sorren. Auch Schiffe, dachte sie, müssen ja schließlich einen Namen tragen.
»Es hat einen Namen aus der alten Sprache«, sagte Kadra. »Er bedeutet ›Sternenfinder‹! Sternenfinder – Ilnalamaré.«
13. Kapitel
Die Kurzschwerter wurden dem Med-Hof am sechsten Tag der ersten Woche des Herbstmondes geliefert, vier Tage früher, als Perrit versprochen hatte.
Paxe lag im Schlaf, als eine Hand auf ihrer nackten Schulter sie mit hochstoßenden Abwehrbewegungen aus den Kissen fahren ließ. Sie hatte von den Roten Bergen geträumt, und sie erkannte Kaleb in eben dem Augenblick, als ihre Hand nach seiner Kehle fuhr und er um Vergebung bittend grinste und sich mit einem Satz aus ihrer Reichweite begab.
»Tut mir leid.«
»Du wolltest doch Bescheid wissen, wenn die sejis geliefert worden sind«, sagte der Mann.
Sie rieb sich die Augen klar. »Was, die sind schon da? Perrit ist ein wunderbarer Kerl!« Der Himmel lag heiß, blau und leuchtend im Fenster. »Wie war der Tag?« fragte sie.
»Ruhig, bis jetzt«, antwortete Kaleb.
Paxe stand auf, trat an das Waschbecken und benetzte sich das Gesicht. »Hat Perrit selber die Schwerter geliefert?«
Kaleb nickte. »Er ist noch drunten im Waffenschuppen und verstaut sie.«
Sie gingen zum Waffenlager. Perrit hatte einen der Männer der Spätwache, Sekki, mehr oder weniger dazu gepreßt, ihm zu helfen. Als Paxe sich unter dem niedrigen Türbalken des Schuppens hindurchbückte, fuhr er sie maulend an: »Ich habf ja gewufft, daf du keine Geftelle haft!«
Paxe warf einen hastigen Blick in den hinteren Teil des Schuppens, um sich zu vergewissern, daß die scharfen Waffen, die sie aus dem Wächterhaus am Tor hatte herbeischaffen lassen, außer Sichtweite verstaut waren. Ja, sie lagen gut versteckt unter Seidenstoffen und Leinwand. Sie streifte die Wände mit einem Blick. Perrit hatte Gestelle für die Lagerung der sejis gebaut. Sie nahm eines der Holzschwerter herunter und fuhr mit dem Daumen über das Holz. »Weißeiche«, sagte sie.
»Na ficher doch!«
Der Firnis war wie Seide. Sie hielt die Klinge in der Handfläche, um ihre Balance zu testen. »Sie sind wunderschön, Perrit, und ich danke dir. Keiner in dieser Stadt könnte eine solche Arbeit leisten, außer dir.«
»Wart ab, bif Arré Med die Rechnung fieht!« Er war plötzlich schüchtern geworden. »Ich hab' mein' Karren draufen.« Er trat aus dem Schuppen und schritt rasch über den Waffenhof, eine kleine, vierschrötige Männergestalt mit riesenhaften Schultern. Kaleb schloß die Schuppentür und brachte die Schlösser an. In der Stille klang das Metallgeräusch überlaut.
Sekki verbeugte sich. »Entschuldigt mich, Hauptmann, Hofmeisterin« – und verschwand in Richtung Tor.
Kaleb sagte: »Die Neuigkeit, daß auf dem Ismenin-Hof der Schwertkampf exerziert wird, läuft durch die ganze Stadt.«
»Ich werde es Arré Med berichten.«
Kaleb fragte: »Paxe, weiß Ivor Bescheid darüber, daß du die Absicht hast, die Leute mit dem Kurzschwert auszubilden?«
»Ich hab' ihm nichts davon gesagt«, antwortete Paxe.
»Dann weiß er es also nicht.« Kaleb rieb sich am Kinn. »Es könnte sein, daß es ihm schwerfällt, das zu akzeptieren. Er ist in der Stadt geboren und hier aufgewachsen. Und für ihn ist ein Schwert in der Stadt ni'chea, egal wie lang es ist.«
In dieser Nacht machte Paxe die Runde in der Dunkelheit, genau wie sie es zuvor bei Tage getan hatte, von Posten zu Posten, an der Halle der Fahrenden vorbei, durch die Weinstraße, die Straße der Goldschmiede entlang. Bei Tanjoposten hielt sie an. Die Kuppel ragte von Sternen eingerahmt in die klare Nacht. Aus dem Portal schimmerte ein Licht, und ein zweiter Lichtschein fiel aus dem Wohntrakt hinter dem großen roten Bauwerk. »Wer lebt dort?« fragte sie und erriet die Antwort, ehe sie erfolgte.
»Das sind die Privatgemächer des L'hel.«
Bei Sonnenaufgang ging sie auf den Waffenhof, um Ivor den Lagebericht zu gebe. Er sah so frisch und kregel aus wie immer, wie ein Tänzer vor dem ersten Sprung, das
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