Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden
würde, wenn sie ihr Beweise dafür vorlegte, daß Isak Med direkt in den Schwerterschmuggel verwickelt war.
Selbstverständlich begleitete Sereth sie zu der Rauchhöhle. Kaleb und er warteten im Hof, während Paxe ihre Zweitkommandierende Dis holen ließ und ihr auftrug, an ihrer, Paxes, Stelle die Runden zu machen. Dis war eine unerschütterlich ruhige, verläßliche Person, eine Großmutter von – bei der letzten Zählung – sechs Enkeln. »Was immer du vorhast«, sagte Dis zu Paxe, »hab Spaß dabei!«
Je weiter südlich sie kamen, desto dichter wurde der Nebeldunst in der Stadt. Es roch nach Fisch. »Bei den Docks drunten muß er so dick sein, daß man drin schwimmen kann«, sagte Sereth.
Kaleb brummte: »Ich kann nicht schwimmen.«
Paxe schielte zu ihm hin. Sein Gesicht wirkte düster. Sie stellte ihm ein Bein. Er sprang zwei rasche Schritte nach vorn und wirbelte auf den Zehen herum.
»Warum glotzt du so trübsinnig drein?« verlangte sie zu wissen. »Vor 'ner Weile warst du noch forsch und lustig, und jetzt spielst du den Frosch am Brunnengrund!«
»Ich hab' bloß nachgedacht«, sagte Kaleb.
»Und worüber, bitte?«
»Wie wir mit Leth-no-Chayatha reden sollen.« In seine Augen trat ein wölfisches Glitzern.
Paxe runzelte die Stirn. »Ach, es wird nicht viel Überredungskunst kosten«, sagte sie. »Er wird vom Himmelskraut ganz hoch in den Wolken schweben.«
»Wahr«, sagte Kaleb. »Wie wahr.«
Sie wurden dreimal angehalten, ehe sie in die Straße des Flüsterns kamen: zweimal von Med-Wachen, einmal von einem Batto-Posten. Die feuchten Straßen schienen ihre Schritte zu dämpfen. Kaleb ging selbstverständlich ganz geräuschlos, und Sereth schielte ihn drei-, viermal neidisch an, bis er schließlich fragte: »Wie machst du es, daß du so unhörbar gehst?«
»Ausbildung«, sagte Kaleb. »Training. Ich bin in der Wüste aufgewachsen und hab' gelernt, mich so leise an Ratten anzuschleichen, daß ich sie mit der bloßen Hand fangen konnte.«
Sereth warf Paxe einen ungläubigen Blick zu. »Es ist wahr«, bestätigte sie, »ich habe ihm selbst dabei zugesehen.« Nebeltropfen rieselten ihr in den Kragen, und sie stopfte die Hände in die Taschen und fluchte leise vor sich hin, weil sie vergessen hatte, den Mantel mit der Kapuze anzuziehen.
Der Nebeldunst ließ die grauen Steine der Straßen im Laternenlicht schwarz leuchten. Sie begegneten nur wenigen Menschen: ein paar späten Nachtschwärmern, die kaum merkten, daß es nieselte, einem Mädchen, das von einer Spätschicht in einer Kneipe kam, einem alten Mann, der neben seinem hängeohrigen Esel heimwärts stapfte – die Gestalten tauchten wie Gespenster auf und verschwanden wieder im Dunst. Viele der Tavernen, an denen sie vorüberkamen, schienen halbleer zu sein, und einige, von denen man hätte annehmen können, daß sie geöffnet seien, waren verrammelt und verschlossen.
Sie gelangten in die Straße des Flüsterns. »Warum heißt die so?« fragte Paxe.
Sereth antwortete: »Weil es eine Stelle in der Straße gibt, sagen die Leute, wenn du dich auf die stellst, kannst du jedes Wort hören, das irgend jemand irgendwo im ganzen Block sagt. Ich hab' sie aber nie gefunden, diese Stelle.«
»Wie oft hast du's denn versucht?« fragte Kaleb.
Sereth zuckte die Achseln. »Ein-, zweimal.«
Sie waren noch zwei Häuserblocks vom Haus der Lieblichen Träume entfernt, und Paxe konnte bereits hier den starken, süßen Geruch der Droge wahrnehmen. Das Himmelskraut, das man in den Pfeifenhöhlen rauchte, war beträchtlich stärker als die Mischungen, die man im Straßenhandel bekommen konnte. Paxe zog Himmelskraut dem Wein als Rauschmittel vor, weil es die Sinne auf eine ihr angenehme Weise schärfte.
Doch hatte sie aufgehört, Himmelskraut zu rauchen, von dem Moment an, als Ricky nichts anderes mehr tat, als es zu rauchen. Sie fragte sich, wie es ihm wohl gehen mochte, und ob er die Stiefel erhalten habe, die sie ihm geschickt hatte.
»Da«, sagte der Torhauptmann. »Wir sind da!«
Es war ein langes, niedriges Haus, einem Lagerhaus ähnlich, mit nur wenigen Fenstern. An einer Stange über der Tür hing schlaff ein Wimpel. Darauf war ein gemaltes Bild: eine Tonpfeife und das gezackte Blatt der Himmelskrautpflanze. Unter dem Bild stand geschrieben: Das Haus der Lieblichen Träume. Die Lettern waren verblichen. Der Himmelkrautduft war überwältigend. »In dem Haus«, sagte Sereth, »sind sogar die Mäuse im Himmel.«
»Laß mich mit Skandar reden«,
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