Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden
und meine teure Schwester kann das Zeug nicht vertragen.«
Plötzlich wurde die Tür aufgestoßen, und Leute drängten sich herein. Ein Diener in Grau und Gelb trug eine Platte mit Essen auf; Saedi der Pantomime kam herein, und sein schmales braunes Gesicht wandte sich mit dem Interesse des Künstlers von Isak (vor dem er sich verneigte) zu Jeshim und zu Sorren. Drei Frauen in langen Silberroben mit langen Holzflöten traten ein, setzten sich in eine Ecke und begannen sofort zu üben: Triller und Läufe und Fetzen von Straßengassenhauern. Sorrens Magen knurrte. Sie trat an das Tablett, das auf dem Boden abgesetzt war, und suchte zwischen den Käsesorten, den Früchten und kleinen Würstchen, bis sie den Nudelauflauf fand.
Sie aß sechs von den kleinen Kuchen. Als sie vom Tablett aufblickte, sah sie, daß Isak sie beobachtete. Er hielt einen Pinsel in der Hand, auf seinen Knien lag ein Messingspiegel.
Sie errötete, weil sie so gierig gewesen war. »Herr und Lord, möchtest du etwas essen?«
»Nein. Ich habe schon gespeist.« Er winkte. »Komm her!«
Sie trat neben ihn. Er zog ihr Gesicht näher zu dem seinen. »Halt still! Mach den Mund zu!« Sie preßte die Lippen aufeinander, und einen Augenblick später verspürte sie den leichten zitternden Kuß des Schminkpinsels auf ihrem Gesicht. Er umkreiste ihre Augen und zog sich dann zurück. »Schau dich an!« Isak drehte den Spiegel, damit sie sich sehen konnte. Und sie schaute sich an – ja, sich selbst, doch war es ein Selbst mit dicken schwarzen Augenbrauen und schmachtenden Augen. Sie wollte mit der Hand zu diesen fremdartigen schwarzen Linien fahren, doch er stieß ihr die Hand fort.
»Laß das! Du siehst gut aus damit. Du kannst dich abschminken, wenn du getrommelt hast.« Wieder legte er den Kopf schief. »Die Gäste müßten allmählich da sein. Beeil dich, zieh dich an, Kind! Es gibt ein paar Happen zu essen, dann kommt die Unterhaltung, dann wieder mehr Essen, und danach die Zeremonie.«
Sorren lauschte und vernahm das leise Gebrabbel, das entsteht, wenn viele Menschen in einem großen Raum alle zusammen reden. »Gehst du denn nicht hin?« fragte sie.
Isak schüttelte den Kopf. »Nach meiner Vorstellung. Niemals vorher; es verdirbt die Stimmung.« Er begann sich auszuziehen. Und so zog sich auch Sorren die Tunika über den Kopf. Während der eineinhalb Wochen, in denen sie ihn zuletzt gesehen hatte, hatte sich der Haß, den sie ihm gegenüber empfand, irgendwie verflüchtigt und hatte wieder der seltsamen Kumpelhaftigkeit und Kameraderie Platz gemacht, die sie ihm gegenüber stets empfunden hatte, diesmal allerdings mit ein wenig mehr Respekt und Furcht gemischt als sonst. Sie beobachtete, wie er sich in das Kostüm des Pfauenmännchens kleidete, den Harnisch aufnahm, das Federkleid, und sie betrachtete bewundernd die Geschmeidigkeit der Muskeln unter seiner Haut, die Eleganz seines schlanken Körpers ... Auf der anderen Seite des Raumes beobachtete Saedi ihn gleichfalls mit großen Augen.
Plötzlich durchschnitt ein Laut die Luft, ließ die Musikerinnen verstummen und alle im Raum, auch Isak, zu Stein erstarren. Eine der Flötistinnen ließ ihr Instrument fallen. Der Laut war ein Hornstoß, ähnlich dem Lärm der Schiffsmuschelhörner im Nebel, nur viel lauter und viel wilder.
»Heiliger Arsch, was ist ...«, stammelte Jeshim.
Isak lachte und hob den kleinen Spiegel auf, der ihm von den Knien gerutscht war. »Das ist Tarn Ryth«, sagte er trocken.
»Der Mann mit den Soldaten«, sagte Sorren.
»Der Mann mit den Soldaten«, stimmte Isak ihr zu. »Hast du sie gestern in die Stadt einmarschieren sehen? Was hältst du davon?«
Sorren strich sich die Seide ihres Kleides im Schoß glatt, und sie dachte, wie sie reagiert hatte, als sie der Soldaten ansichtig geworden war. Sie hatten sie an Chearis erinnert. Doch nun, nachdem sie die Posten der Hauswache näher gesehen hatte, diese Männer in ihren lächerlichen Rüstungen, dachte sie: Nein, die chearis waren niemals so wie die da! Isak hat viel mehr von einem echten cheari als dieser Mann da auf seinem Roß.
»Ich finde, sie sehen doof aus«, sagte sie.
Isak gluckste. »Das finde ich auch«, sagte er und setzte sich die Federkrone des Pfauenhahnes auf den Kopf.
Die Tür ging auf. Cha Minto kam herein. »Isak?« Seine Stimme klang hoch und befremdend. »Sie ist da! Sie ist hergekommen!«
»Was brabbelst du da?« fragte Isak und ließ den Pinsel sinken, mit dem er sich gerade langgezogene dicke
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