Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden
schüttelte. Jeshim blieb einen Augenblick lang völlig bewegungslos. Dann streckte er ihr die geöffnete Hand entgegen. »Sorren, bitte gib mir das Messer da«, bat er leise.
Sie schloß die Finger nur noch fester um den Griff. Es war ein winziges Messer, viel kleiner als das Schneidemesser in der Küche und überhaupt nicht furchterregend. »Wirst du mich dann ab sofort in Ruhe lassen?«
»Gib mir das Messer, oder ich muß dir wehtun!«
»Das wirst du nicht«, sagte sie.
»Reiz mich nicht!« Sie spürte, wie er sich spannte, um nach ihr zu schlagen, und sie trat aus seiner Reichweite. Plötzlich gruben sich Finger in ihre Schulter, zwangen sie anzuhalten. Sie stieß einen Schmerzensseufzer aus.
»Dies genügt!« sagte eine Stimme, Isaks Stimme. Er nahm die Hand von ihrer Schulter und trat zwischen die beiden. »Ich will nicht wissen, wie es begonnen hat, aber hiermit ist Schluß! Sorren ...« – er fixierte sie mit seinen dunklen Augen –, »du legst jetzt das Messer auf den Boden. Sofort!«
Sie kniete nieder und legte das Messer auf Armeslänge entfernt auf den Boden. Isak kniete nieder, nahm es und reichte es Jeshim. »Gaukler, stell diesen Kasten weg!«
Seit er da war, schien der Raum kleiner geworden zu sein. Sorren erhob sich und rieb sich die Schulter.
Isak lächelte sie liebenswürdig an. »Nun, wie geht es dir, Kind?«
Sie fragte sich, ob er vergessen haben konnte, was er bei ihrer letzten Begegnung zu ihr gesagt hatte. »Ach, gut.«
Er machte eine Handbewegung auf Jeshim zu und sein Ton wurde neckend. »Ich habe gedacht, ihr beide seid Freunde. Freunde kämpfen doch nicht miteinander, oder? Du hast ausgesehen, als wenn du ihm gleich die Gurgel durchschneiden wolltest.«
»Ich will bloß, daß er mich mit seinen Scheißpfoten in Ruhe läßt«, sagte Sorren.
»Gaukler, laß sie mit deinen Scheißpfoten in Ruhe! Und mit deiner Zunge ebenfalls. Meine Tasche ist im Flur draußen. Bring sie mir!« Jeshim, gezüchtigt und stumm, tat, wie ihm befohlen.
Isak setzte sich auf den Diwan, indem er die Messerschachtel beiseite schob. »Und wie befindet sich meine teure Schwester?« fragte er und neigte neckisch den Kopf. Er trug Straßenkleidung, doch das Haar war schon auf dem Kopf aufgesteckt, und es war pomadisiert und parfümiert, so daß Isak duftete wie ein ganzer Garten.
An diesem Morgen hatte Arré zu Sorren gesagt: »Du kannst Isak alles sagen, was er gern hört, nur nicht, daß ich zu diesem Fest zu kommen beabsichtige. Wenn er dich darüber ausfragt, mußt du lügen!«
»Es geht ihr besser«, sagte Sorren.
»Ach ja, ich hab' gehört, sie war krank. Es tut mir ja so leid für sie. Ich wäre sie ja gern besuchen gekommen, aber kranke Menschen werden immer so schnell müde.« Er entdeckte ihre Trommeln und die Kleider, die neben ihr lagen. »Was ist das? Neue Kleider?«
»Ja. Arré hat sie für mich gekauft.«
Er hielt sie in die Höhe. »Sehr hübsch.«
Jeshim kam vom Korridor hereingeschwankt. Er schleppte mit beiden Armen einen enormen Sack. »Heiliger Wächter, was ist da bloß drin?« stöhnte er.
»Kostüme«, sagte Isak. Er schnürte den Sack auf und zog den Strohpenis des Hengstkostüms heraus.
Jeshim gluckste und griff danach. Er tat, als binde er sich das riesige Glied vor den Bauch. »Ich hätte nichts gegen so ein Trumm.« Seine Lippen verzerrten sich lüstern. »Hast du noch mehr davon?«
»Nein«, sagte Isak kurz.
Sein Ton war eisig. Jeshim ließ den Strohpenis neben den Sack fallen und hob seinen eigenen Beutel vom Boden auf. »Ihr entschuldigt mich«, sagte er.
Isak lächelte und schaute nun wieder zu Sorren herüber. »Also hat dich meine liebe Schwester ganz wohlvorbereitet hierhergeschickt. Wie ausgesprochen lieb von ihr. War sie wirklich krank?«
»Ja«, antwortete Sorren. Sie knetete ihre Finger; der Zorn war von ihr gewichen, aber sie fühlte sich davon noch gespannt, und die Kleider klebten ihr auf der Haut.
Isak machte erneut den Sack auf und holte seine Schminkfarben für die Gesichtsmaske heraus. Dafür hatte er verschiedene Arten von Farben in kleinen emaillierten Schachteln. »Was hat ihr gefehlt?« fragte er.
Sorren trommelte mit den Fingern ihre Schenkel entlang. »Sie hat zuviel getrunken.«
Isaks Mund zuckte. Er holte die Pinsel hervor, die er für die Gesichtsmaske benötigte, und glättete die schimmernden Pinselhaare. »Es ist doch ein Witz, oder? Das Haus Med macht und machte sich sein Vermögen durch unsere Weinfelder und durch die Kellereien,
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