Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden
betuchten Freier wartet, und einen Soldaten, der sich auf Wache langweilt, sich bemüht, nicht einzuschlafen, mit einem Auge immer nach dem Wachoffizier schielt. Der Künstler war sehr gut. Arré mußte trotz ihrer Wut lachen. Der Pantomime gab nun ein etwas längeres Stück: ein Betrunkener, der zu pissen versucht. Lautes Lachen erfüllte den Raum, als der Künstler so tat, als habe er den Penis verloren und suche mit dem Nachttopf in der Hand überall in seinem Schlafzimmer nach ihm. Schließlich ließ er den Nachttopf fallen und endete damit, daß er aus dem Fenster und einem erzürnten Passanten auf den Kopf schiffte.
»Ist er nicht hinreißend!« sagte Karya Holleth Ismenin und neigte sich vor, um Arré auf die Schulter zu tippen. »Ist er nicht wonnig?«
»Brillant«, sagte Arré und merkte, daß inzwischen Ron Ismenin zwischen ihr und der Ecke des Zimmers stand.
Der Mime beendete seine Vorstellung, verbeugte sich und verschwand wieder hinter dem Vorhang. Die Musikerinnen spielten etwas Neues.
Arré fühlte sich versucht, Karya Holleth Ismenin zu fragen, wieso man sie, Arré Med, nicht zu der Verlobungsfeier eingeladen habe, nur um zu hören, was sie darauf antworten würde. Doch dies wäre eine ebenso grausame wie grobe Unhöflichkeit gewesen. Sie lächelte statt dessen Kim an. »Ich hab' Hunger. Wollen wir ans Büffet gehen?«
»Ich bring dir gern einen Teller«, sagte Karya und stand eilig auf. »Geh hier nicht weg!« Sie wieselte zur Tafel hinüber.
»Geh nicht weg, das scheint das Motto dieser Versammlung zu sein«, murmelte Arré Kim Batto zu. »Du wirst mich aber doch irgendwann mal wieder aufstehen lassen müssen, weißt du.«
Er tat, als habe er sie nicht gehört. »Ich freue mich schon auf den Tanz deines Bruders«, sagte er.
»Oh, ich ebenfalls«, sagte Arré. Sie brannte darauf, Isak zu sehen, wenn er sie zu Gesicht bekam. Auf seinem Gesicht würde sich natürlich nichts von seinem Ärger abzeichnen – schließlich war er ja ein Tänzer und vermochte seine Gefühle so gut zu verbergen, bis er selber nicht mehr wußte, daß er Gefühle hatte –, aber sein Körper würde ihn verraten. Sie hätte gern gewußt, was er zu Sorren gesagt hatte, als er erfuhr, daß sie, Arré, anwesend war. Hoffentlich war er nicht zu wütend gewesen.
»So, da bin ich wieder«, sagte Karya. Sie stellte Arré ein vollbeladenes Tablett auf die Knie: sie hatte zehn oder zwölf verschiedene Delikatessen aufgestapelt, Fischküchlein und kleine Pasteten und Nudelsoufflé und Seetangbällchen und Früchte in Scheiben ... Arré aß nur ein weiteres Seetangbällchen. Die Flötistinnen spielten eine lustige kleine Melodie, und ein Mann in Rot und Orange und Blau sprang in den Saal herein. Kugeln wirbelten um seinen Kopf. Er zählte leise vor sich hin, als er zunächst auf einem Bein, dann auf dem anderen balancierte. Er glitt hinter den Vorhang und kehrte mit einer Handvoll Messer zurück. Es waren ganz kleine Messer. Er begann mit ihnen zu jonglieren. Die Musik brach ab, und alle wurden still, beugten sich auf den Hockern vor und schauten den Messern zu, die wie kleine Münzen durch die Luft wirbelten ... Arré merkte, daß sie die Luft anhielt. Langsam atmete sie aus.
»Laß mich die mal anschaun!« dröhnte eine Stimme. Alle fuhren zusammen, und der Jongleur verpaßte ein Messer. Es fiel dumpf vor seinen Füßen auf den Teppich. Der Mann in Gelb und Schwarz schritt wuchtig durch den Raum und streckte eine Hand vor. »Gib mir das mal!« Er pflückte ein Messer aus der Hand des Artisten, der sie wie einen Blumenstrauß hielt, und berührte dann mit der Spitze seinen Daumenballen. »Hanh. Wirklich scharf. Aber das ist keine Art, mit Messern umzugehen. Sie sind kein Spielzeug.« Er warf den Arm über den Kopf, und ein blitzender Gegenstand flog durch die Luft. Jemand schrie auf. Das geschleuderte Messer landete in einer der schönen ismeninischen Holztüren.
Karya Ismenin schauderte. »Dieser Barbar!« flüsterte sie angewidert.
Der Jongleur sagte: »Für einen Amateur wirfst du gut.« Kühl wählte er eins der Messer aus dem Strauß in seiner Hand und schleuderte es in die gleiche Richtung. Zitternd blieb es im Türholz stecken, eine knappe Handbreit neben dem ersten Messer.
Schweigend ging Ron Ismenin quer durch den Raum und zog beide Messer aus der Tür. »Du wirst meine Gäste erschrecken, Tarn«, sagte er. »Vielleicht können wir uns das für später aufheben?« Er reichte dem Jongleur beide Messer zurück. »Ich
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