Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden
ich soll lernen, wie man sie benutzt, aber sie konnte mir auch nicht sagen, wie.«
Marti nickte. »Ich bin der gleichen Meinung«, sagte sie. Sie berührte mit einem Finger die Karte mit dem Gelehrten. »Der Schwarze Clan besitzt vielleicht noch das Wissen über die Anwendung, irgendwo versteckt und verschlossen in den Archiven. Aber selbst wenn das so ist, so bezweifle ich, daß sie bereit wären, dieses Wissen mit dir zu teilen. Aller Wahrscheinlichkeit nach würden sie versuchen, dir die Karten abzunehmen.«
»Aber diese Karten gehören mir!« sagte Sorren und griff nach ihnen, wie um sie sofort einzusammeln.
»Gewiß gehören sie dir. Und ich nehme sie dir bestimmt nicht fort.« Sie stützte sich auf eine Hand und schaute wieder die Bilder an. »Der Weiße Clan müßte darüber Bescheid wissen. Du könntest sie ja vielleicht fragen.«
Sorren biß sich auf die Lippen. »Das kann ich nicht!«
Marti glättete den Ärmel ihres fahlgelben Jackenkleides. »Ich kann nicht sehen, warum nicht«, sagte sie. »Der L'hel mag ja bestechlich sein, aber das bedeutet nicht, daß jeder Hexer es auch ist. Du würdest vielleicht schwören müssen, sie nicht zu benutzen, aber ein Schwur ist nur soweit bindend, wie du glaubst, daß er es sei. Vielleicht werden sie sie dir wegnehmen wollen, aber du bist eine Leibeigene des Med-Hauses, und so würden sie zuerst Arrés Erlaubnis einholen müssen, ehe sie irgendwas tun können, und ich bin sicher. Arré würde ihnen bedeuten, daß sie dir die Karten lassen sollen. Warum solltest du also nicht mit ihnen darüber reden?«
»Ich kann es nicht.«
»Dann sag mir, warum!« bat Marti.
Und Sorren erzählte es ihr.
Mitten in dem Bericht begann Marti zu lächeln. Und als Sorren zu Ende kam, streckte sie die Hand aus und nahm Sorrens Hand. »Davon hast du Arré nie etwas gesagt, nicht wahr?« fragte sie. Sorren schüttelte den Kopf. Ihre Kehle fühlte sich ausgetrocknet an. Niemals hatte sie jemandem davon etwas gesagt – außer Paxe. »Und das ist der Grund, warum du die Karten nicht in den Tanjo zu den Hexenleuten bringen willst? Weil du fürchtest, daß sie dich zwingen würden, im Tanjo zu bleiben und eine Hexe zu werden – und nie aus der Stadt fortzugehen?« Ihre Finger waren warm. »Armes Kleines! Sorren, man kann dich zu gar nichts zwingen, wenn du kein Verlangen hast, es zu tun! Du hast die Hexengabe, ja. Aber es gibt keine Möglichkeit, keine, verstehst du, dich dazu zu zwingen, deine Gabe auch einzusetzen, dein Fernreisen, wenn du es nicht willst. Tanjo heißt ›Schule‹. Und genau das ist es auch, eine Schule. Ich glaube, du solltest zum Tanjo gehen und dort sagen, was du bist, und du solltest sie dich lehren lassen. Du könntest ja dann vielleicht feststellen, daß du schließlich doch nicht in den Norden gehen möchtest.«
»Nein!« sagte Sorren. »Ich will gehen.«
»Ich versichere dir«, sagte Marti, »sie würden dich nicht zurückhalten. Sie können es nicht!«
Sorren starrte blicklos die gemalten Bilder an. Sagt ihr es mir, dachte sie. Sagt mir, was geschehen wird, wenn ich es tue. Doch die Karten blieben stumm. Ihre Hände flogen, und sie ballte sie an den Schenkeln zu Fäusten. Die Vorstellung, in den Tanjo zu gehen, erfüllte sie mit Entsetzen. Doch wie, wenn Marti Hok recht hatte? Sie dachte an Sorren die Kämpferin, die Prinzessin Sorren, die ihr ähnlich sah, Sorren, deren Namen und (vielleicht auch) Blut sie hatte. Was würde jene Sorren getan haben?
Sie würde gegangen sein, wohin immer sie zu gehen wünschte, und niemand würde es gewagt haben, sie zu berühren!
Aber ich bin ja nicht jene Sorren, dachte sie.
Marti sagte sanft: »Sorren, warum hast du niemals mit Arré darüber gesprochen? Ich bin sicher, daß du es nicht getan hast, denn ich weiß, sie hätte dir genau das gleiche gesagt wie ich!«
Sorren rieb sich die Wange. Es war schwer, es zu erklären. »Sie würde gewollt haben, daß ich hingehe«, sagte sie.
»Sie würde dich niemals zu etwas zwingen!«
»Nein. Aber sie würde darüber reden und mich andauernd fragen, bis ich mir wie eine Närrin vorkäme, weil ich es nicht tun will.«
Marti nickte. »Ja, das stimmt wohl«, sagte sie ernst. »Arré strebt nicht nach Macht, doch wenn sie sich ihr anbietet, dann ergreift sie sie, also würde sie nicht verstehen können, warum du sie ablehnst. Aber was sagt denn deine Geliebte, die Hofmeisterin, zu dieser Sache?«
»Ich habe sie nicht gefragt«, antwortete Sorren.
»Und warum nicht?« sagte
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