Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden
Marti. »Sie ist eine gescheite Frau, sie muß es sein, da sie Arrés Vertrauen besitzt. Du solltest vielleicht doch mit ihr reden!«
Es war ein guter Rat. Sorren dachte darüber nach, als sie wieder den Hügel hinanstieg. Als sie an den Waffenhof kam, spähte sie durch die Gitterstäbe, um zu sehen, ob Paxe dort war. Die Wachen exerzierten mit ihren neuen hölzernen Waffen, doch Paxe befand sich nicht unter ihnen. Sorren zauderte ein wenig herum, dann ging sie zur Hütte hinüber. Dort pochte sie ganz leise an die Tür. Falls niemand ihr antwortete, würde sie wieder gehen.
»Einen Augenblick«, rief Paxes Stimme. Schritte kamen über die Bodenmatten, und die Tür ging auf. Paxe schaute mit sehr ernstem Gesicht heraus. »Ach, du bist's. Komm rein!«
Sorren sagte: »Wenn du keine Zeit hast ...«
»Wenn ich keine Zeit habe, dann sage ich das«, erklärte die Hofmeisterin. »Komm!« Sie trat zurück. Sorren trat mit ihren Karten ins Haus. Sie setzte sich auf eine Matte, Paxe warf ihr ein Kissen zu, und sie schob es sich unter den Hintern. Die Schachtel mit den Karten legte sie neben dem Tisch ab.
»Ich hab' dich eine Ewigkeit nicht gesehen«, sagte sie zu ihrer Geliebten.
»Ich hab' jetzt die Nachtwache«, antwortete Paxe. »Und du warst immer beschäftigt. Jedesmal wenn ich dich treffe, bist du auf dem Sprung und willst die Straße hinunter.«
Sorren setzte an, wollte sagen: Arré deckt mich mit Arbeit ein – doch die Worte blieben ihr im Hals stecken. Es war ja nicht Arré, die ihr die Zeit raubte. Sie erinnerte sich, wie Arré sie gefragt hatte, ob sie eine andere Geliebte habe. Glaubte Paxe etwa auch, sie habe eine neue Geliebte? Sie betrachtete die ältere Frau eindringlich und entdeckte die neuen Kummerlinien in ihrem Gesicht. Sie schien auch dünner geworden zu sein. Das konnte natürlich auf das Schwerttraining zurückzuführen sein, doch konnte es auch mit einer Frage zu tun haben, die zu stellen Paxe nicht wagte. Wenn Paxe zornig war, oder verärgert, oder wenn etwas ihr Kummer machte, dann redete sie nicht darüber: sie arbeitete.
Sorren sagte: »Du hast mir gefehlt!«
Die Hofmeisterin reichte ihr die Hand. »Und warum hockst du dann da drüben, so weit entfernt, daß ich dich nicht berühren kann? Komm her!«
Sorren rutschte hinüber. Sie umarmten einander flüchtig. »Schon besser«, flüsterte Paxe. Sie zeichnete die Umrisse von Sorrens Augen mit der Zunge nach. »Macht irgendwas dir Kummer, chelito?«
Sorren drückte den Kopf in die Kuhle an Paxes Schulter. »Ja. Es gibt etwas, das ich dir sagen muß«, sagte sie.
»Sag es!« befahl Paxe und verstrickte ihre Finger in Sorrens Haar.
»Weißt du noch, es ist Wochen her, da hat Isak mich gebeten, zum erstenmal, ich soll bei der Verlobung für ihn trommeln. Es war während der Ratssitzung ...«
»Ja, ich erinnere mich«, sagte Paxe.
Sorren wollte aber nicht über Isak nachdenken. »Gut. Also am nächsten Morgen hat Arré mich gebeten, für sie herauszufinden, wen der Ismenin-Junge heiraten würde.«
»Und war sie überrascht, als du es ihr gesagt hast?«
»Ja – aber das war es nicht, was ich dir erzählen wollte. Ich habe Jeshim den Jongleur gefragt. Er war beim Jalar-Dock und jonglierte da für die Matrosen und Fischer. Jedenfalls, ich hab' da diesen – diese Person am Dock getroffen. Sie heißt Kadra. Sie hat mir erzählt, daß sie ein Botschafter war und dann eine Beinverletzung bekam und nicht mehr reiten konnte.«
»Kadra? Und sie lebt in diesem Bezirk?«
»Nein, im Jalar-Viertel – irgendwie. Also, ich hab' mit ihr geredet. Sie ist auch eine Kartenzeichnerin. Ich fragte sie, ob sie von Tornor gehört hat, und sie sagte, ja. Sie sagte, sie würde mir eine Landkarte machen, auf der ich die Ortschaften sehen kann, in die ich gehen muß, und die Straßen ...«
Paxe fragte: »Wie lange ist es her, daß sie verletzt wurde? Es hat sich manches geändert.«
»Das weiß ich nicht«, sagte Sorren. »Das hat sie mir nie erzählt. Ich glaube aber, es ist lange her.« Sie entwand sich Paxes Umarmung. »Wenn du mir andauernd Fragen stellst, werde ich es dir niemals richtig sagen können«, maulte sie.
»Tut mir leid.« Paxe legte die Beine überkreuz und ließ die Hände in ihrem Schoß ruhen. »Ich halt dich eben so gern fest.«
»Halt mich später fest. Kadra – also, Kadra, ist seltsam. Zuerst einmal ist sie eine Trinkerin. Ich hab' noch nie jemand gesehen, der so viel hinunterschlucken und sich dabei noch auf den Beinen halten
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