Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden
sieht genauso aus wie du!«
Der andere Mann fragte: »Sorren? Wer, zum Teufel, ist das?«
»Achte auf deine Rede!« sagte Isak. »Sie ist meine frühere Trommlerin, Dienerin bei meiner Schwester. Ein Mädchen aus dem Norden.«
»Aha. Die Bettschlampe der Hofmeisterin. Ich geh mal nachsehen.« Sorren löste den Griff vom Zelt und sackte flach ins Gras. Sie robbte so nahe an das Zelt heran, wie sie sich getraute, und zog die lose Zeltleinwand über sich. Ein Mann kam aus dem Zelt und umkreiste es.
Seine Stiefelsohlen knirschten auf den Steinchen – eine Handbreit von ihrem Kinn entfernt. Sie hielt den Atem an. »Ich seh sie nirgends«, rief der Mann und kehrte ins Zelt zurück. Sofort danach rollte Sorren von dem Zelt fort und kroch in den Schatten, den das nächstgelegene Zelt warf. Sie bebte am ganzen Leib.
Sie zwang sich, tief zu atmen, bis das Zittern aufhörte. Wenn ich meinen Bogen bei mir hätte ... dachte sie. Aber sie hatte ihren Bogen nicht. Sie stand auf, trat fest einen Schritt vor und rief: »Riat!«
Riat krähte im Zelt. Die Eingangsklappe wurde nach außen geschlagen, und zwei Männer traten ins Mondlicht. Der eine war Isak, und er trug seinen Sohn auf dem Arm. Der zweite Mann bog um das Zelt und verschwand in Richtung auf den Pavillon. Sein Gang kam Sorren bekannt vor, doch mehr konnte sie nicht von ihm erkennen. »Die Bettschlampe der Hofmeisterin« hatte der Kerl sie genannt. Sie zwang sich, so zu tun, als habe sie ihn nicht bemerkt, aber ihr Herz schien ihr in der Kehle zu stecken, als Isak langsam auf sie zukam.
Er trug weiche blaue Baumwollsachen, und in seinem Gesicht war keine Schminke mehr. Er lächelte dünn. Er sprach: »Riat, es ist wenig freundlich, daß du Sorren Kummer bereitest. Sie ist für dich verantwortlich.« Er stellte den Jungen ins Gras.
»Papa, wer war der Mann?« fragte Riat.
»Einer, den ich kenne. Denk nicht mehr an ihn.« Über den dunklen Kopf des Kindes hinweg blickte er Sorren an, und sie stählte ihren Willen, seinem Blick zu begegnen.
»Mein Herr und Lord, er hat mir eine gräßliche Angst eingejagt. Ich suche schon fast eine Stunde lang nach ihm.« Ihre Stimme zitterte trotz ihrer Anstrengung. Würde er es bemerken?
»Ach wirklich?« Isak legte seinem Sohn die Hand auf die Schulter. »Riat, das war sehr übel getan. Entschuldige dich bei Sorren, daß du ihr Kummer bereitet hast.«
»Es tut mir leid«, sagte Riat. »Papa, komm doch mit und schau die Schlangendame an!«
»Nein. Sorren, wie fandest du meinen Tanz?«
»Er war sehr schön«, sagte Sorren. »Aber dein Trommler war zu laut.«
»Ich weiß«, sagte Isak. »Du hättest das machen müssen. Wo gehst du jetzt hin?«
Sie streckte die Hand nach Riat aus. Mutwillig schlüpfte er ihr davon. »Ich bringe jetzt diesen Kobold zu seiner Mutter zurück. Das heißt, wenn er mich läßt!«
»Er wird!« Isaks Hand schoß vor und packte den Jungen am Handgelenk. »Du kommst jetzt mit mir, junger Mann.« Sie wanderten auf den Zelteingang zu. Sorren legte die Handflächen an die Wangen. Sie war eiskalt, und gleichzeitig fieberte sie.
Sie mühte sich zu überdenken, wer dieser Mann gewesen sein könnte. Jemand, den sie kannte – oder der sie kannte. Sie wußte, wer der Gaukler, der Jongleur, sein mußte – Jeshim. Das war einfach. Isak sprach leise auf den Jungen ein, und Riat nickte mehrmals mit dem Kopf. Wahrscheinlich befahl Isak dem Kind, nichts über »den Mann« zu seiner Mutter zu sagen. Heiliger Wächter, steh mir jetzt bei! dachte sie. Sie mußte unbedingt zurück, mußte Paxe finden! Isak und Riat kamen wieder heraus.
»Ach, hier bist du«, sagte Isak. »Chelito, wir beide sehen uns dann morgen.« Noch einmal lächelte er Sorren zu und schritt dann gemächlich davon.
»Wiedersehn, Papa«, rief Riat. Er sah aus, als wolle er hinter Isak dreinlaufen, und Sorren packte ihn am Hemd. »Ich lauf nicht weg. Laß mich los!« Sie gab ihn frei. Er stand da und starrte hinter seinem Vater her. »Ich hab' ein Geheimnis«, sagte er mit ängstlichem Stolz.
»Nun, dann sag mir bloß nicht, was es ist«, sagte Sorren. Sie hob ihn auf und setzte ihn sich auf die Schultern. Er hakte die Finger in ihr Haar.
»Auf, Pferdchen!« befahl er. Sie ließ ihn spielen, daß sie sein Pferd sei, und trabte durch den Park auf den Großen Baum zu. Dabei spähte sie nach Med-Posten aus. Ihr Herz pumpte in ihrer Brust. Ihre Knie fühlten sich weich an und schwach. Sie redete sich selber gut zu, es seien zu viele Menschen
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