Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden
fallen, wozu die Menge »Oooh!« stöhnte. Schweiß träufelte Sorrens Flanken hinab. Sie schob das Baby auf die andere Seite und reckte die Hüfte vor, um das Gewicht des Kindes abzustützen. Itaka kam auf die Bühne. Alle grüßten ihn jubelnd.
Riat beugte sich herüber und sagte zu seiner Mutter: »Papa kommt jetzt.«
»Ach, wie nett«, sagte Myra. »Kathi, Papa kommt gleich. Zupf doch nicht so an meinen Haaren, chelito!« Riat hoppte auf Paxes Schultern auf und ab, die Arme flogen vor Erregung wie Windmühlenflügel.
Und Isak betrat die Bühne.
Er hatte einen weißen Ring um seine Augen gemalt, um sie zu betonen. Seine Kleidung schimmerte wie die Schuppen der Schlange. Der Trommler war ein unsensibler Hämmerer: pum-pum, pum-pum. Nach einem ersten Ausbruch von Jubel war die Menge in Schweigen versunken und gab sich ehrfürchtig der Magie des Tanzes hin. Und Isak war die Schlange – geschmeidig, hinterlistig und brutal. Er zischelte, und die Menschen in der vordersten Reihe wichen zurück. Sorren erschauderte angesichts seiner Kunst. Er glitt hinter den Paravent, und als er wieder auf die Bühne zurückkehrte, trug er ein langes weißes Gewand über dem grüngoldenen Kostüm. Nun war er die weise Hexe. Langsam entwickelte sich die Geschichte. Die Schlange begehrte nach der Weisheit der Hexe. Sie kam zu ihrem Haus und tanzte im Haus herum. Die Hexe ahnte nicht, daß die Schlange da war. Sie mischte einen Zaubertrank in ihrem Hexenkessel, und als sie einmal nicht hinsah, glitt die Schlange herein und legte sich um den Kessel nieder. Als alles gut gemischt war, probierte die Hexe den Trank. Die Schlange lauerte darauf, daß sie wieder wegschauen möge. (Mittlerweile riefen die Kinder im Publikum laut: »Paß auf!«, und ihre Eltern mühten sich, sie zum Schweigen zu bringen.) Die Hexe ging aus dem Haus, und die Schlange richtete sich auf, bereit, den Zaubertrank zu stehlen. Die Hexe kehrte zurück und ertappte die Schlange dabei. Die Trommeln schwollen in einem Crescendo an. Die Hexe sprach einen Zauber, und das Riesentier sank zusammen und kroch auf dem Bauch hinaus, unfähig zu stehen, armlos und beinlos.
Bei dieser Bestrafung der Schlange jubelten die Kinder begeisterte Zustimmung. Isak kam wieder hinter dem Wandschirm hervor, zuerst als die Schlange, dann als die Hexe. Sorren rief: »Joi-joi-joi-joi!« Isak blickte zu ihr herüber und lächelte.
»Er ist gut, nicht wahr?« sagte Myra und ihre Stimme klang weich und traurig und verloren. Er fehlt ihr, dachte Sorren. Sicher liebt sie ihn sehr.
»Die Leute sind jedenfalls dieser Meinung«, sagte Paxe. Sie griff hinter ihren Kopf, packte Riat und stellte ihn auf den Boden. »Tut mir leid, chelito, aber ich muß jetzt gehen.« Sie schaute Sorren an und lächelte. Sorren blies ihr einen stummen Kuß zu.
»Macht er noch einen Tanz?« fragte Riat. »Ich will es sehen!«
»Nein«, antwortete Sorren. »Er tanzt immer nur einmal.«
Dann waren sie wieder am Großen Baum. Arré lächelte ihnen entgegen. »Nun?« fragte sie.
Myra setzte sich neben sie. »Den Leuten hat es gefallen«, sagte sie. »Ich hoffe, du hast dich nicht zu sehr gelangweilt, hier draußen. Deine Hofmeisterin war sehr nett zu uns, sie ist gekommen und bei uns geblieben, während wir uns den Tanz anschauten.«
Riat bettelte: »Kann ich noch mal zu Papa gehn?«
Myra nahm die Dreijährige aus Sorrens Armen und legte sie in einer Decke zurecht. »Den Kindern fehlt er, weißt du«, sagte sie zu Arré.
»Ja, das glaube ich gern«, gab Arré freundlich zurück. »Sorren, magst du nicht den Jungen wieder hinters Zelt führen?«
Sorren verneigte sich und nickte Riat zu. »Also komm!«
Die Menge war noch lauter geworden. Und sie brauchten lange, bis sie sich wieder bis zum Pavillon durchgedrängt hatten. Riat hielt sich dicht bei Sorren, diese Masse fremder Leiber, die alle größer waren als er, erschreckte ihn ein bißchen. Sie blieben eine Weile stehen und schauten einer Frau mit einer Schlange zu. Die Schlange hatte grüne Schuppen. »Genau wie Papa«, erklärte ihr Riat.
»Aber nicht so groß«, sagte Sorren, was ihn zum Lachen brachte. Die Tänzerin war nicht so geschmeidig wie Tani.
Als sie weitergingen, fragte Riat: »Ist mein Vater ein guter Tänzer, Sorren?« Der Klang der Liebe in seiner Stimme war so unverhohlen nackt, daß es schmerzte.
»Der beste«, sagte Sorren mit Bestimmtheit.
Riat wiederholte sich das Wort auf dem ganzen Weg durch den Park – »der beste, der beste«.
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