Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden
bis ich komme und dir sage, du darfst. Hast du das verstanden?«
Laliths Augen waren groß wie Untertassen. »Was haben wir denn vor?« fragte sie.
»Kümmere dich jetzt nicht darum. Du wirst es später erfahren.« Und Paxe ging in der Küche herum und stapelte Töpfe in strategischen Positionen unter den Fenstern aufeinander. Die Fenster wirkten zwar zu eng, als daß jemand durch sie hätte hereinklettern können, doch war es besser, wenn man sicherging. Lalith beobachtete sie und erlaubte sich dabei ein mißbilligendes Stirnrunzeln.
»Da gehören die aber nicht hin«, sagte sie.
»Laß sie!« sagte Paxe. »Ihr könnt sie morgen früh an ihren Platz stellen.« Sie zupfte leicht an einem der Ebenholzzöpfe des Kindes. »Denk dran – ab ins Bett und ohne Lärm.« Dann ging sie in das Vorderzimmer zurück und inspizierte dabei die beiden Salons. Der Mond spiegelte sich im Glas des hohen Bücherschranks, und sie sah in diesem Spiegellicht den Raum, sich selbst, die zusammengewickelten Schriftrollen überlagernd.
Und dann – wie in jeder Nacht seit der neuen Wacheinteilung – trat sie aus dem Haus, um die Runde durch ihren Bezirk zu machen.
Die Nacht war noch immer strahlend klar, doch im Süden ballte sich der Nebel dichter und dichter. Dunstschwaden huschten vogelgleich über den sternbekränzten Himmel. Der Torwächter am Kavafruchtbaum war nur ein Schatten, der Baum selbst ein dichterer Schatten. Sie zwang sich, langsam zu gehen, gleichmäßig, so wie sie es sonst immer tat. Verspätete nächtliche Festschwärmer taumelten aus einer nahegelegenen Gasse und schleppten sich den Hang herauf. Sie lachten. Als sie am Med-Haus vorbeikamen, wurden sie still und warnten einander mit leisen Eulenschreien, Arré Med nicht aufzuwecken. Paxe preßte sich an die Gartenmauer, und die Leute gingen vorbei, ohne sie zu sehen. Sie stanken nach Himmelskraut und billigem Wein. Sie ging ostwärts, in die Zehenspitze ihres Stiefelbezirks, wanderte die Grenze zum Minto-Bezirk ab. Sie kam an einer Ecke vorbei, an der eigentlich ein Posten hätte stehen sollen. Der Platz war leer. Wo war der Kerl? Sie neigte den Kopf lauschend zur Seite, hörte aber nichts, keine erhobenen Stimmen, keinen Streitlärm, keine Schritte.
Sie spürte den Posten in einem Dickicht auf, er rauchte Himmelskraut aus einer Pfeife, die er mit den hohlen Händen abzuschirmen versuchte. Leise schlich sie sich von hinten an den Mann heran. Sie packte ihn an den Ellbogen und grub die starken Finger in die Armnerven. Die Pfeife fuhr aus seinen geschockten Händen. Sie stemmte sich hoch, schob den Mann in die Höhe und rammte ihn hart aufs Straßenpflaster. Der Aufprall ließ ihn von den Zehen bis zum Scheitel erbeben. »Fünf Peitschenhiebe, wenn ich dich noch mal beim Rauchen erwische!« flüsterte sie in sein Ohr.
Er taumelte, als er sich zu ihr umwandte. »Hofmeisterin ...«
»Keine Entschuldigungen! Marsch auf den Posten zurück!« Er reckte sich steif auf und schlich an seine Ecke zurück. Sie suchte, bis sie die Pfeife fand. Sie hob sie auf und schleuderte sie mit aller Kraft fort – sie blitzte kurz im Mondschein auf, ehe sie in irgendeinem Garten klirrend landete.
Vor dem Tanjo-Bezirk hielt sie an, wie es ihre Gewohnheit war, um mit der Wache dort ein paar Worte zu wechseln. Die Kanten des roten Kuppeldoms sahen aus wie aus Papier geschnitten. Der Schatten eines Vogels stieß durch das Gesicht des vollen Mondes. »Sie sind ruhelos heut nacht«, sagte der Posten. »Hörst du sie kommen? Das Licht hält sie wach.« Sie spähte nach den Lichtern in den Gemächern des L'hel, doch die Fenster waren dunkel. Und wieder überlegte sie, warum die Wahrheitsfinderin Sorren gewarnt hatte, sie solle »leise« zu den Zelten gehen. Diese Warnung hatte wahrscheinlich Arrés Leben gerettet – und möglicherweise das Sorrens.
Paxe überlegte, ob Isak das Mädchen auf der Stelle getötet haben würde, wenn er angenommen hätte, daß sie von seiner mörderischen Intrige etwas wußte. Vielleicht nicht, während sein Sohn dabeistand und zuschaute, doch getan haben würde er es gewiß. Paxe wandte sich nach Norden. Am Park zögerte sie, dann ging sie weiter. Inzwischen würde Lalith ihr Lärmen in der Küche beendet haben.
Den Rest ihrer Runde erledigte sie rasch. Ihre Muskeln fühlten sich steif an; sie war schon zu lange im Dienst – seit man den Pavillon errichtet hatte –, und sie war nun sehr erschöpft. Sie winkte dem Wächter am Tor zu und sprach laut mit ihm, in
Weitere Kostenlose Bücher