Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden
der Hoffnung, daß man sie belauschte. »Ich bleib jetzt eine Weile in meinem Haus. Weck mich, wenn du mich brauchst!«
Ehe sie zu ihrer Hütte ging, machte sie kurz im Waffenhof halt. Der Mond zeichnete ihren Schatten scharf auf die Hofmauern. Dann ging sie zu ihrem Häuschen. Die Katze begrüßte sie mit einem verwirrten »Mi-järau«, und Paxe streichelte das Tier, das nach einer Weile zu schnurren begann. Dann stieg sie zu ihrem Schlafzimmer hinauf und entzündete die Lampe. Sie hoffte, die Mordbuben stünden draußen, sähen das Licht und würden denken, daß sie sich ins Bett begeben wolle. Sie stapfte durchs Zimmer, ließ das Waschbecken und den Nachttopf scheppern und vollführte alle jene Geräusche, mit denen die Lauscher rechnen würden. Dann blies sie schließlich die Lampe aus.
Dann legte sie sich aufs Bett und zwang sich, ganz still in dem schummerigen Mondlicht dazuliegen.
Der Schweiß brach ihr aus den Poren. Sie empfand Furcht. Sie versuchte zu erraten, wie viele es sein würden – zwei, drei, vier, fünf? Sie müssen doch heut nacht kommen, dachte sie. O heiliger Wächter, mach, daß sie heut nach kommen! Arré wird niemals damit einverstanden sein, sich hinter einer Armee zu verstecken, immer bewacht zu sein und immer in Angst ... Sie lauschte, ob sie den Klang von Sorrens Trommeln hören könne, vernahm aber nichts. Aber sie war sowieso zu weit vom Haupthaus entfernt. Ihr Bett fühlte sich an, als wären Felsbrocken darauf, und sie mußte sich zwingen, ganz still zu liegen, während sie dem Mondlicht zusah, das über die Bodenbretter wanderte. Mach, daß sie heut nacht kommen! Sie merkte, wie ihr allmählich kalt wurde, und so begann sie ihre Übungen, spannte die Muskeln an, entspannte sie wieder, um sie warm und geschmeidig zu halten für die Arbeit, die sie erwartete.
Nach einer Weile vernahm sie ein fernes Getöse. Sie hatte damit gerechnet, obschon sie nicht wußte, was es sein würde: ein künstlich vom Zaun gebrochener Streit, ein vorgetäuschter Diebstahl, irgendeine Ablenkung, um die Aufmerksamkeit der Wachtposten zu erregen. Sie spannte die Finger, die Schenkel – und die Nackenmuskeln und stand geräuschlos vom Bett auf. Leise ging sie nach unten. Sie öffnete die Zedernholztruhe und nahm das Nordlandschwert heraus. Sie hatte fast den ganzen Rost wegschleifen können. Licht schimmerte scharf auf der frischgeschliffenen Schneide. Sie stellte sich vor, daß Tyré ihr zuschaute, wo immer er sein mochte, und sie bemühte sich, ihre Gedanken zur Ruhe zu bringen, für den Fall, daß seine Seele nach ihr rufe – doch sie vernahm nur die Stille um sich und ihr eigenes dröhnendes Herz. Nichts sprach zu ihr über die trostlose Ebene des Todes hinweg.
Sie schob das Schwert in die Scheide, drückte es fest an sich und machte leise die Tür der Hütte auf. Der Mond segelte durch ein Wolkengespinst. Sie wartete, bis sein diffuses Licht schwächer wurde, dann schloß sie die Tür hinter sich und lief über den Hinteren Hof an die Hinterfront des Med-Hauses. Die Dachrinne warf einen breiten Schatten über den Eingang. Die Töpfe standen noch so auf dem Küchenfußboden, wie Lalith sie zurückgelassen hatte. Paxe stapelte sie hinter der Küchentür auf, so daß sie beim Öffnen umgestoßen werden mußten. Sie ließ die Küchentür unverriegelt und stieg zu Arrés Schlafzimmer hinauf, wo sie sich auf das Bett legte.
Sie kamen bei der Hintertür herein, wie sie es sich gewünscht hatte, stolperten über die Töpfe und lieferten ihr so die Warnung, auf die sie gehofft hatte. Sie stand auf und zog ihr Schwert aus der Scheide. Sie kamen durch den Flur an den Fuß der Treppe, und sie kamen schnell; sie hörte eine Stimme, etwas fiel zu Boden. Sie überlegte, was es gewesen sein könnte. Noch war sie nicht zornig. Also betete sie um Zorn, wie andere um Frieden flehen mögen – Heiliger Wächter, mach, daß ich wütend werde! –, sie stieß das Schwertgehänge unters Bett und bemühte sich, vergangene Verletzungen heraufzubeschwören, ausgetrocknete Kränkungen, alte Haßgefühle, irgend etwas, nur um die nötige mörderische Wut in sich in Gang zu setzen.
Sie kamen herauf. Sie hatten Stiefel an, und Paxe zählte jeden Schritt mit. Ein Mann flüsterte etwas, sie konnte die Worte nicht verstehen, aber die Stimme kam ihr bekannt vor. Das Blut pochte wild in ihren Adern. Sie kamen näher, und sie preßte sich flach an die Wand und zählte mit – eins, zwei, drei, vier ... vier Mann, um eine
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