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Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden

Titel: Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth A. Lynn
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füllte ihm zum letztenmal das Glas, und er fuhr ihr mit einer onkelhaften Vertraulichkeit über den nackten Arm.
    Sie trat hastig zurück und stieß dabei fast das Tischchen an Cha Mintos Seite um.
    Arré sagte: »Obacht, Kind!« Sie blickte zu Marti hinüber und erinnerte sich an ihre eigenen Eltern, die beide unerwartet plötzlich bei der Pestepidemie starben, die die Stadt im Ratsjahr Einhundertundneunundzwanzig überfallen hatte. Sie hatte es sich nicht gewünscht, das Oberhaupt der Familie sein zu müssen. Doch ihre Mutter hatte sie gut ausgebildet; sie war auf den leeren Platz geschlüpft und hatte nur ein paar kurze wehmütige Blicke hinter ihrer verlorenen Freiheit hergeschickt.
    Marti sagte: »Ich bin ebenfalls der Überzeugung, daß der Rat sich erweitern sollte, so wie unsere Stadt wächst. Und ich billige die Nominierung des Hauses Jalar für eine Mitgliedschaft. Doch bevor ich nicht sichtbare Zeichen der Besonnenheit und des Ernstes bei den Brüdern Ismeninas entdecke, werde ich mich dagegen zur Wehr setzen, daß dieses Haus unter uns einen Sitz erhält.«
    Azulith schrieb in wilder Hast. Cha Minto sagte: »Ich glaube, du machst einen Fehler.« Er hatte die Armlehnen seines Sessels so fest gepackt, daß seine Knöchel weiß hervortraten.
    Arré sagte: »Cha, gibt es ein anderes Haus, das du vorzuschlagen bereit wärest, damit wir eine annehmbare Sitzverteilung bekommen?« Es gab nur noch ein weiteres Haus von genügend Ansehen und Einfluß, die Isaras, die den Handel mit Choba-Öl kontrollierten. Doch Cha schüttelte den Kopf. »Dann muß auch ich sagen, daß ich die Ismeninas für – unsichere Kantonisten halte. Also stimme ich mit Marti.«
    Der Fensterschirm ratterte, der Wind fuhr stärker gegen die Paneele. Die Ratsmitglieder sprangen bei dem Geräusch auf, und Marti rieb die Hände aneinander.
    »Sorren«, sagte Arré, »schließ den Fensterschirm und leg einen Koben in den Kamin!«
    Sorren schob den Fensterschirm zu. Die Brise erstarb. Sie nahm die Vase heraus und zog den gezähnten Rost in die Mitte der Feuerstelle. Sorgfältig baute sie ein Feuerbett aus Kienholz und Zweigen. Sie schlug den Feuerstein, der Zunder flammte auf, und Feuer leckte gegen die schuppige Unterseite der Holzklötze.
    Arré reckte sich. Die Kleider an ihrem Leib fühlten sich rauh und klebrig an. Cha Minto hielt sie mit den Augen fest, und sein Mund war schief und verklemmt. Arré dachte: Wenn du dich von meinem Bruder Isak benutzen läßt, dann tust du mir leid, mein Freund. »Cha«, sagte sie.
    Seine Lippen preßten sich fest zusammen; er wandte den Kopf ab und vermied es, ihr in die Augen zu sehen.
    »Cha!«
    Er blickte zu ihr herüber.
    »Bevor du heute abend hierhergekommen bist, hast du da vielleicht zufällig jemandem gegenüber von deiner Absicht gesprochen, diesen Antrag zu stellen? Zu Meredith Jalar, vielleicht? Oder zu Ron Ismenin?«
    Er sagte: »Das wäre höchst regelwidrig gewesen.«
    Marti Hok sagte scharf: »Ich vermute, diese Antwort bedeutet, nein.«
    »Ja, das bedeutet sie«, bestätigte er.
    Marti erhob sich aus ihrem Sessel und stapfte zum Kamin. »Ich friere so leicht«, bemerkte sie. Sie stützte sich schwer auf ihren Stock, und Arré hielt den Atem an. Marti sah sehr gebrechlich aus.
    »Marti, geht es dir nicht gut?« fragte sie.
    »Doch, vollkommen!« Die Augen der alten Frau blinzelten. Sie streifte Sorren mit einem Blick, die mit der Feuerzange in der Hand auf den Fliesen kniete. »Ich möchte um alles in der Welt nicht mehr jung sein, das versichere ich dir, Arré. Wie ist dein Name, Mädchen?«
    »Sorren, Herrin.«
    Marti wurde aufmerksam. »Das ist ein Nordländername. Bist du im Norden geboren?«
    »Nein, Herrin.« Sorren hielt die Feuerzange angewinkelt wie einen Speer. Der Feuerschein schimmerte auf ihrem Haar und auf der blassen Haut, als trüge sie eine Rüstung, und Arré dachte: sie sieht aus wie ein Barbarenkind, fremdartig, wie eine Kriegsmaid in der Zeichnung einer alten Tonschale. »Ich bin in den Weingärten geboren, glaube ich.«
    »Deine Hautfarbe ist die der Nordländer«, sagte Marti. »Kennst du die Legende von Sorren, der Herrin von Tornor?«
    »Nein«, antwortete das Mädchen.
    »Es ist eine alte Geschichte aus dem Norden. Ich könnte sie dir einmal erzählen. Es war Samia-no-Reo, die sie mir erzählt hat, als ich halb so groß war wie du. Und viel größer bin ich nicht mehr gewachsen. Schick sie einmal zu mir, Arré! Dann werde ich ihr die Sage erzählen.«
    Arré

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