Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden
verspürte einen flüchtigen Hauch von Eifersucht. Sie wollte nicht, daß Marti Hok ihrer Leibeigenen Geschichten erzählte. Doch dann schob sie den Gedanken beiseite. Marti hatte ihr die Arbeit bei der Ratssitzung abgenommen – sie verdiente eine kleine Belohnung.
Sie drehte die Handflächen nach oben. Die Silberreifen klirrten an ihren Gelenken. »Solange du sie nicht von ihrer Arbeit abhältst, Marti, kannst du ihr erzählen, wozu du Lust hast.«
4. Kapitel
Pah-pah-pah-PAH!
Sorren hängte die Feuerzange an ihren Platz zurück. Im Geschoß über ihr hörte sie Arré und Marti reden. Die Hose über den Schenkeln wurde heiß von den Flammen, doch sie spürte es kaum. Tornor. Wo und was war Tornor? Ein Schweißbächlein bahnte sich kitzelnd den Weg auf der Haut unter ihrer Brust, als der Name in ihrem Kopf erklang, als wäre es Musik.
Sie mußte an die Luft, brauchte Platz um sich herum. Sie stand vom Kamin auf und bog um die Sesselgruppe, ging zur Tür. Sie schlich sich in den Flur. Ihre Wangen glühten, und sie legte die Handflächen darauf, um sie zu kühlen. Durch den Spalt in der Tür sah sie Boras Sul, der herüberstarrte, und sie fragte sich, ob er ihr nachstarrte. Und sie dachte an mehrere unfeine Worte, die sie leider nie zu ihm würde sagen können.
Isak kam aus dem Zimmer, das ihm als Garderobe gedient hatte. Sein schwarzes Haar war noch immer mit dem roten Kamm hochgesteckt, doch er trug sein Kostüm – den goldenen Mantel des Adlers, die Lumpen der Hexe, den juwelenbesetzten Lendenschurz des Jägers – nachlässig über dem Arm, als wären es wertlose Fetzen. Er schaute Sorren prüfend an. »Was ist los mit dir?« fragte er dringlich.
Sorren ließ die Hände fallen. »Mir ist heiß.« Sie zögerte, dachte dann plötzlich: Er ist gebildet, vielleicht hat er von Tornor gehört. Doch er würde wissen wollen, warum sie darauf Wert legte, es zu erfahren, und sie war sich nicht sicher, ob sie ihm nicht zuviel verraten würde.
»Mehr nicht?« Er schaute sie nicht länger an, er starrte auf die Doppeltür, als könne er durch das Holz blicken. »Sorren?«
»Ja, Herr?«
»In drei Wochen findet im Haus der Ismeninas ein Fest statt. Ich werde tanzen. Könntest du kommen und für mich trommeln?«
»Ich glaub schon. Wirst du etwas Neues tanzen?«
»Nein, etwas Altes – die ›Werbung‹.«
Das war ein Verlobungstanz. Sorren fragte sich, welcher der Ismeninsöhne sich verheiratete und mit wem. »Ich werde um die Erlaubnis bitten müssen.«
»Ja, meine Schwester!« Er sprach das Wort »Schwester« aus, als wäre es mit Asche bestäubt. Immer noch starrte er auf die Doppeltür. Sorren dachte, was glaubt er denn, was da vor sich geht? Sie lauschte auf die sich hebende und senkende Stimme Arrés. Isak fragte sie nie über die Sitzungen aus, obschon er natürlich wußte, daß sie dabei bediente. Wenn er es täte, würde sie das natürlich Arré berichten, und wahrscheinlich wollte er nicht, daß Arré erfuhr, wieviel ihm daran lag, daß er deswegen die Dienstboten ausfragen mußte.
Er nahm die Kostüme in den Arm. »Was treiben die da drin denn bloß?« murmelte er in sich hinein.
»Sie genügen der Höflichkeit«, sagte Sorren. Er warf ihr einen eisigen Blick zu.
Die Türen öffneten sich weit, und Azulith kam mit ihren Protokollen und dem Tuschkasten heraus. Sie lächelte Sorren zu und wandte sich zur Küche.
»Schreiberin!« Seine weiche Stimme pfiff wie eine Peitsche.
Erschreckt drehte Azulith sich um und ließ fast den Tuschkasten fallen. »Mein Herr?« fragte sie.
Immer noch sanft fragte Isak: »Ich denke doch, daß ich mehr Respekt verdiene!«
Sorren mußte vor Überraschung blinzeln. Azulith hatte schmerzende Knie, das wußte doch jeder. Aber es gab nichts, was sie hätte sagen können. Zornig stand sie daneben, als Azulith sich ächzend auf ein schmerzerfülltes Knie niederließ.
»Ich danke dir«, sagte Isak. »Du kannst gehen.« Azulith erhob sich mit verzerrtem Gesicht. Die Augen waren beredt, voller Verachtung und Wut, als sie in den hinteren Teil des Hauses ging. Isak schien das nicht zu berühren.
Cha Minto kam durch die Tür.
Isaks ausdrucksvolle Schultern spannten sich. Der jüngste Ratsherr schüttelte mehrmals den Kopf. Sorren dachte: Paxe hat recht gehabt. Isak hatte etwas geplant und war darin enttäuscht worden. Eine Falte ihrer Tunika war verrutscht; sie legte sie wieder zurecht, und als sie aufblickte, sah sie, daß Boras Sul sie anstierte, als wäre sie ein Teller
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