Die Chroniken der Nebelkriege 2: Der Eisige Schatten
der glitzernden Kristallvitrine und den Farnen am Fenster wie ein Wohnzimmer wirkte. Kai betrachtete soeben einige Porträts an den Wänden, als sich eine zweite Tür öffnete und Fi in Begleitung einer rundlichen, älteren Däumlingsfrau das Zimmer betrat. Sie trug ein erdbraunes, bodenlanges Gewand und auf ihrer Nase klemmte ein Kristallzwicker. Ohne Zweifel handelte es sich bei ihr um Amabilia. Sie hatte ihre grauen Haare zu einem praktischen Dutt hochgesteckt und hinter ihren Brillengläsern blitzte ein freundliches Augenpaar. In ihrer Jugend musste sie auffallend hübsch gewesen sein. Noch immer besaß sie einen federnden Gang, ihre Züge wirkten überaus vornehm und die Lachfalten um ihre Augen herum verrieten, dass sie Humor besaß. Im Moment aber machte sie einen sehr besorgten Eindruck. »Du hast dir Zeit gelassen, Thadäus«, tadelte sie Eulertin.
»Na ja.« Eulertin räusperte sich. »Bei der Untersuchung deines Patienten hätte ich dir sowieso nicht helfen können. Getrödelt haben wir aber nicht.« Er blickte Kai aufmunternd an und der Zauberlehrling nickte eifrig.
»Wir sind mit der Baumbahn gekommen«, erklärte er, weil er nicht wusste, was er sonst hätte sagen sollen. Fi starrte ungeduldig zu Amabilia. Sie wirkte äußerst angespannt. »Du, mein Lieber, bist also Kai«, rief die Erdmagierin freundlich und strich dem Zauberlehrling übers Haar. »Ich habe schon viel von dir gehört. Sehr viel. Thadäus meint, du machst dich ganz vortrefflich.«
»Ich gebe mir Mühe«, antwortete Kai mit einem Kloß im Hals, denn irgendwie erinnerte ihn Amabilia an seine verstorbene Großmutter.
»Na, du machst mir Spaße. Du hast immerhin Morbus Finsterkrähe gestellt und ihn mit List und Einfallsreichtum besiegt. Das hat vor dir nur Thadäus geschafft. Du solltest stolz auf dich sein.« Dann blickte sie ernst in die Runde.
»Thadäus, um den Patienten, den du mir geschickt hast, steht es leider schlimmer, als ich anfänglich gedacht habe«, führte Amabilia mit fester Stimme aus. »Ob es sich dabei tatsächlich um dieses ...«, sie ließ einen kurzen Moment verstreichen, bevor sie fortfuhr, »... Hexenfieber handelt, vermag ich nicht auszuschließen. Gilraens Symptome weisen ohne Zweifel darauf hin. Und doch ...« Sie versuchte die rechten Worte zu finden. »Seine Haut ist dünn wie Pergament, seine Muskeln sind hart und angespannt und öffnet man seine Augenlider, ziehen sich die Pupillen zusammen, so als würde er direkt in die Sonne starren. Ja, fast habe ich den Eindruck, dass er das Tageslicht nicht allzu gut verträgt.«
Irritiert sahen sich Kai und Eulertin an.
»Und das heißt?«, bohrte der Däumlingsmagier nach.
»Tja, das mag eine Folge der schrecklichen Bedingungen sein, unter denen die Elfen Albions schon seit gut zwei Jahrzehnten leben. Gut möglich, dass zu alledem eine Mondsilbervergiftung hinzukommt.« Amabilia seufzte schwer. »Wie dem auch sei. Unser Patient stirbt uns noch diese oder nächste Nacht unter den Fingern weg, wenn wir ihm nicht sehr schnell helfen. Da uns das Herz der nachtblauen Stille nicht zur Verfügung steht, müssen wir mit einem anderen Mittel versuchen, seine Lebensgeister zu wecken.«
»Und was schlagt Ihr vor?«, fragte Kai.
»Drachenessenz!«, platzte es ungeduldig aus Fi heraus. »Amabilia meint, das sei das einzige Mittel gegen das Hexenfieber. Aber dafür müssen wir erst die entsprechenden Zutaten finden. Uns läuft die Zeit davon.«
»Ganz richtig«, bestätigte Amabilia und legte sanft die Hand auf Fis Arm. »Drachenessenz besteht aus zwölf Ingredienzien und wird unter Anwendung von Magie gebraut. Die meisten der Zutaten habe ich glücklicherweise in meiner Kräuterstube vorrätig, doch vier fehlen mir. Eines davon, Mondraute, will Fi auf dem Herflug ausgemacht haben. Es handelt sich dabei um eine Art Mistel, die in der Krone von Buchen gedeiht. Fi wird daher gleich mit einem der Sperberreiter aufbrechen und es besorgen. Am besten, du bringst gleich einen ganzen Zweig mit.«
Die Elfe nickte tatendurstig.
Amabilia wandte sich Magister Eulertin zu. »Treibe du Windskraut und Albenstößel auf.«
»Albenstößel ist kein Problem. Aber ausgerechnet Windskraut!« Der Magister stöhnte. Kai fühlte mit seinem Meister. Er hatte im letzten Jahr selbst seine Erfahrungen mit dieser Zauberpflanze sammeln dürfen, die sich bei der geringsten Berührung buchstäblich in Luft auflöste.
»Wir beide hingegen ...« Amabilia sprach nun mit Kai. »Wir beide kümmern uns
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