Die Chroniken der Nebelkriege 2: Der Eisige Schatten
Haus, schnell!«, rief Amabilia.
Immer mehr Schreie mengten sich in das Lärmen der Signalhörner. Eulertin deutete mit seinem Zauberstab schwungvoll auf ein Blatt, das im Hafenbecken trieb und zwang es mit seinen Kräften aufzusteigen und zu ihnen heranzufliegen. Nicht weit von ihnen entfernt begann sich die Wassermühle in Gang zu setzen.
»Lauft nach oben!«, brüllte der Däumlingsmagier Kai, Fi und Gilraen an. »Und schützt die Kinder!«
Kai wusste, dass es längst zu spät war, sich wieder in Menschengestalt zu verwandeln. Er hätte das Dorf unter seinen Füßen zertrampelt. Außerdem hatte er bei einem ähnlichen Angriff damals in Lychtermoor den Ratten selbst in Menschengröße kaum etwas entgegenzusetzen gehabt. Längst hielt Fi ihren Bogen gespannt.
Verzweifelt überlegte Kai, was er tun konnte. Ihm fiel nichts ein. Es war, wie Kriwa gesagt hatte: Da draußen quiekten, ruderten und schäumten Hunderte haushoher Monsterratten auf sie zu. Nur mit hoher Magie hätte er etwas gegen sie ausrichten können. Sie waren verloren!
In diesem Augenblick geschah etwas völlig Unerwartetes: Die Ratten, die mittlerweile die Höhe des Dorfes erreicht hatten, folgten einfach dem Flusslauf und ließen Sperberlingen links liegen. Nach wenigen Augenblicken war der Spuk vorbei. Die Gefährten sahen sich erst verblüfft, dann erleichtert an. Nach einigen Augenblicken machte sich ohrenbetäubender Jubel im Dorf breit.
Der Bachlauf lag jetzt wieder ruhig vor ihnen und auch jenseits der Wälle war das schrille Fiepen der Nager verstummt.
»Seltsam«, murmelte Kai. »Wir wären eine leichte Beute für die Biester gewesen.« »Ja, Junge«, antwortete Magister Eulertin. »Doch ganz offensichtlich war Sperberlingen nicht ihr Ziel.«
Kai stöhnte. »Erst die Ereignisse letzte Nacht oben auf dem Schwarzen Berg und jetzt das hier. Ehrlich gesagt reicht es mir langsam.«
»Magister«, rief plötzlich einer der Dorfbewohner und stürmte auf Eulertin zu. Er reichte ihm aufgeregt ein zusammengerolltes Blatt. »Nachricht für Euch vom Fliegerhorst.«
Der Däumlingsmagier entrollte das Schreiben und seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Ich befürchte, die Angelegenheit ist doch noch nicht ganz ausgestanden.«
»Was ist denn?«, fragte Kai ungeduldig.
»Unsere Kundschafter berichten, dass nicht weit im Osten, über Mondraiosch, seltsame Dinge geschehen. Sieht ganz so aus, als ob unsere zwergischen Nachbarn in Mondraiosch gerade angegriffen würden.« Eulertins Blick verfinsterte sich. »Ich fürchte, unsere Ankunft bei Königin Berchtis wird sich noch etwas verzögern. Wir müssen ihnen helfen!«
Himmelsfeuer
Der Anblick, der sich Kai bot, war Furcht einflößend. Berchtis' fliegende Kutsche jagte über einen bewaldeten Bergkamm hinweg und der Zauberlehrling konnte durch das Seitenfenster einen hohen Wolkenberg ausmachen, der sich direkt über dem Tal von Mondraiosch auftürmte. Das seltsame schwarze Wolkengebilde ragte wie ein gewaltiger Kegel lotrecht zum Himmel auf und hüllte die Zwergenstadt in tiefe Schatten. Deutlich war zu sehen, dass ein kräftiger Niederschlag auf Mondraiosch herabregnete, und doch flackerte es unter der Wolke hin und wieder rot auf, so als ob im Talkessel Feuer aufflammen würden. Kai suchte den Himmel rechter und linker Hand des Talkessels ab, doch nirgends sonst war auch nur das kleinste Wölkchen zu entdecken. »Auf gar keinen Fall kann diese Wolke natürlichen Ursprungs sein«, meinte Gilraen unheilvoll. »Trotzdem müssen wir da rein.«
»Wenn ich die Herrschaften Passagiere nun bitten dürfte, die Gurte anzulegen. Es wird gleich sehr ungemütlich werden«, tönte die blecherne Stimme des magischen Droschkenlenkers Nivel.
Kai, der bereits wieder zu seinem Platz zurückgekehrt war, hielt nach Magister Eulertin Ausschau, der es vorgezogen hatte, auf Kriwa zu reiten. Doch der Däumlingsmagier war nicht zu sehen. Kurz darauf schwand das Sonnenlicht und es wurde fortwährend dunkler um sie herum. Ein kalter Wind rüttelte an der Kutsche, und gegen die Fensterscheiben schlugen erste große Schneeflocken, die schnell tauten und auf dem Kristall lange Schlieren hinterließen. Von Augenblick zu Augenblick wurden es mehr. Schließlich prasselte ein schwerer Schneeregen auf die Kutsche nieder.
Sie passierten nun endlich die gewaltige Ringmauer Mondraioschs. Erste Häuser zeichneten sich unter ihnen ab, doch im dichten Schneegestöber waren sie nur undeutlich zu erkennen. In diesem Moment war
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