Die Chroniken der Nebelkriege 2: Der Eisige Schatten
verstärkt wurde, dass die Zinnen, Säulen und Turmspitzen wie Blüten, Bäume und Blätter geformt waren.
Kai ging auf das große Hauptportal des Schlosses zu. Der Torbogen lief oben in Gestalt einer geöffneten Blüte aus, deren Blätter weich wie Rosenquarz schimmerten. Die beiden Portalflügel standen einladend offen.
Fi lief an seine Seite. »Was erwartest du da drinnen zu finden?«
»Ich weiß nicht«, erwiderte Kai. »Die Feenkönigin ist die Einzige, die mir helfen kann, endlich zu einem richtigen Zauberer zu werden. Und sie ist die Einzige, vor der sich sogar Morgoya fürchtet.« Er blieb stehen und funkelte die Elfe an. »Was auch immer dieses Feenreich in kalte Todesstarre versetzt hat, ich wette mit dir, Morgoya steckt dahinter. Aber ich bin verdammt noch einmal die Letzte Flamme. Irgendeinen Sinn musste das doch haben. Nötigenfalls werde ich all das hier eben wieder auftauen!« Fi sah ihn an, als habe er den Verstand verloren.
Er wandte sich von ihr ab und ging auf das große Portal zu. Kriwa flatterte auf seinen Arm.
Magister Eulertin glitt von ihrem Federkleid und schwebte hinunter auf Kais Schulter. Kriwa krächzte laut und erhob sich wieder.
»Meine Antwort auf diese Frage steht noch aus, Junge«, brummte der Däumlingsmagier. »Je mehr ich darüber nachdenke, desto fester bin ich davon überzeugt, dass die schreckliche Veränderung, die Berchtis' Reich erfasst hat, zwar mit dem Zustand der Feenkönigin in Verbindung steht, sie aber nicht tot sein kann.« Kai musterte den Däumling fragend.
»Wenn das so wäre«, fuhr der Magister fort, »wäre das Feenreich wohl überhaupt nicht mehr zu erreichen gewesen. Trotzdem müssen wir vorsichtig sein. Ohne Zweifel ist Berchtis persönlich Ziel eines Angriffs gewesen. Und wir wissen nicht, ob unser unbekannter Gegner noch im Schloss lauert.«
Fi zückte ihren Bogen und legte vorsichtshalber einen Pfeil an. Gemeinsam drangen sie durch das Portal in einen Innenhof vor, dessen Umfassungsmauern von Efeu überrankt waren. Hier stand ein Springbrunnen mit vereister Fontäne. Viel überraschender jedoch waren die beiden riesigen Trolle rechts und links neben dem Eingang, die sich mit ihren muskulösen Armen auf gewaltige Keulen stützten. Ihr langes, zotteliges Haar war von Raureif bedeckt und ihre Lenden wurden von Fellen umhüllt. Die beiden blickten drohend, doch ihre Borkengesichter waren ebenso erstarrt wie alles andere an ihnen.
»Trolle?«, rief Kai entgeistert. »Hier am Hof der Feenkönigin ?«
»Sie sind nicht die einzigen Vertreter fremder Völker, die du hier noch erblicken wirst«, erklärte der Däumlingsmagier. »Nahezu jedes Volk auf dem Kontinent hat Vertreter an den Hof der Feenkönigin entsandt, um Berchtis zu huldigen oder ihr auf irgendeine Weise zu dienen. Krieger, Baumeister, Dichter und Musikanten. Einige von ihnen haben zuvor unglaubliche Heldentaten vollbracht, andere haben seltsame Abenteuer erlebt, bevor sie Zugang zum Feenreich erhielten. Vergessen wir nicht«, schloss der Magister, »was uns die Haltung dieser beiden Wächter verrät. Sie lehnen entspannt auf ihren Keulen. Entweder ist das Unglück von einem Moment zum anderen über die Schlossbewohner hereingebrochen, oder sie haben den Feind selbst eingelassen. Vielleicht beides.«
»Dann seid Ihr ebenfalls davon überzeugt, dass Morgoya hinter alledem steckt?«, fragte Kai.
»Manches spricht dafür, manches dagegen«, antwortete der Windzauberer kryptisch. »Ein Vasall der Schattenmächte kann es nicht gewesen sein. Denn niemand, dessen Seele der Finsternis verschrieben ist, hätte das Feentor passieren können.« Die Gefährten gingen an den Hünen vorbei und drangen ins Innere des Schlosses vor. Sie erreichten eine prachtvolle, lichtdurchflutete Halle, in der es schwach nach Harz und Rosenholz duftete. Die Wände wurden von alabasternen Säulen gesäumt, die mächtigen Bäumen nachempfunden waren. Ihre Äste reichten hoch hinauf bis unter die Decke, die zu Kais Erstaunen aus einem Meer leuchtender Edelsteine bestand. Unter der silbernen Schicht von Raureif konnte er einen fantastischen Frühlingshimmel aus Tausenden von Rubinen, Zitrinen, Aquamarinen, Diamanten, Saphiren und Granatsteinen erkennen, über den bunte Vögel und Schmetterlinge flogen.
Vier Türen zweigten von der großen Halle ab und auf einer Seite war der Treppenaufgang in einen Turm erkennbar.
»Wohin müssen wir?«, fragte Fi, die ihren Bogen gespannt hielt, jederzeit bereit, einen Pfeil
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