Die Chroniken der Nebelkriege 3: Die Letzte Flamme
Gargylenfürst verharrte mitten in der Bewegung und seine gelben Augen durchbohrten Kai wie glühende Lanzen. Was hatte Dystariel da eben gesagt? Kai starrte die beiden Gargylen ungläubig an.
Kruul drehte sich zu Dystariel um. »Was sagst du da?«
»Er ist unser Sohn, Kyrill!«, röchelte die Gargyle. Sie versuchte sich aufzurichten und fiel wieder zurück. Die Blutlache um ihren Körper wurde immer größer. »Diesen Namen kenne ich nicht mehr. Ich bin jetzt Kruul«, rasselte der Gargylenfürst mit schwerer Stimme und wandte sich wieder Kai zu. Der begriff plötzlich, dass vor ihm in Wahrheit Kyrill Drachenherz stand, der Sohn des gestürzten Königs, der einst den Widerstand gegen die Nebelkönigin angeführt hatte. Auch an ihm hatte Morgoya also schreckliche Rache geübt.
»Bitte, Kyrill ...« Dystariel ächzte. »Besinne dich ... der Liebe wegen, die uns einst verband.«
»In mir ist nur Leere.« Der Gargylenfürst stieß ein schreckliches Rasseln aus. Doch Kai fühlte, wie Kruul in sich ging und mit sich rang. Zornig schüttelte er sein Gargylenhaupt. »Schatten der Vergangenheit. Sie haben keine Bedeutung mehr.« Abermals hob er seine Krallen, doch ein flirrender Geisterleib manifestierte sich plötzlich zwischen ihm und Kai. Quiiiitsss!
»Wagt es, ihm ein Haar zu krümmen«, raunte Quiiiitsss gefährlich leise, »und Ihr werdet die Folgen zu spüren bekommen.«
»Fort mit dir, Gespenst!« Kruul fletschte die Reißzähne. »Denn wenn du denkst, deine Geistermacht schreckt mich, dann irrst du dich!«
»Das sollte es aber«, wisperte Quiiiitsss frostig. »Denn ich bin ein Poltergeist!« Er breitete seine Geisterarme aus und Kruul wurde unter die Statue geschleudert. Über ihnen sprühten noch immer Funken. Kai sah erst jetzt, dass Olitrax' beständiger Drachenhauch den Arm bis hinauf zum Zepter tief ausgehöhlt hatte. Quiiiitsss wandte seinen Schlierenblick nach oben, ein Ruck ging durch die Statue und im nächsten Moment brach der Arm ab. Kruul stieß ein fürchterliches Brüllen aus. Der Arm mit dem Zepter stürzte wie ein dorniger Streitkolben auf ihn nieder und die mondsilbernen Zacken bohrten sich tief in seinen Leib.
Kruul bewegte sich nicht mehr. Kai rappelte sich auf und sah, wie sich der zerschmetterte Gargylenleib in einen muskulösen Mann mit schwarzem Haar verwandelte. Er besaß ein kühnes Profil mit energischem Kinn und schmaler Nase, die Kai ein wenig an seine eigene erinnerte. Noch einmal hob Kruul den Kopf. Seine blauen Augen suchten Kai und seine Lippen formten letzte Worte. Verzeih mir ... Sohn. Dann brach sein Blick.
Kai stürmte hinüber zu Dystariel. Sie lag direkt neben der Mulde mit der gehäuteten Schlangenhaut. Ihr Brustkorb hob und senkte sich nur noch schwach. Ihm liefen die Tränen über das Gesicht, als er sah, wie schrecklich ihr Gargylenleib von Wunden entstellt war. Kai griff aufgewühlt nach einer ihrer Pranken. Zwei Krallen waren abgebrochen. »Bitte, Dystariel. Du darfst mich nicht verlassen. Ich brauche dich doch.«
»Es tut mir leid, Kai«, rasselte die Gargyle mit schwacher Reibeisenstimme. »Den letzten Teil deines Weges wirst du allein gehen müssen.«
»Warum hast du mir nie etwas gesagt?«, schluchzte er. »Vielleicht hätte ich dir helfen können?«
»Aber du hast mir doch geholfen.« Blut quoll aus ihrem Maul. »Was denkst du, warum ich als einzige Gargyle noch etwas fühlen kann ? Durch meine Liebe zu dir, mein Sohn. Das Licht hat dich erwählt.« Dystariel verzog ihre Gargylenlippen zu einem Lächeln. Es wirkte wie eine Grimasse. »Die alte Frau im Lychtermoor war dir eine bessere Mutter, als ich es je hätte sein können. Doch ein Drachenherz schlägt auch in deiner Brust. Denke stets daran.«
Verzweifelt sank Kai vor ihr nieder, und er fühlte, wie sich ihre zerrissenen Schwingen sanft um ihn schlossen.
»Du darfst nicht gehen«, wimmerte er. »Du darfst es einfach nicht. Bitte ... Mutter.« »Grüß mir Thadäus«, flüsterte die Gargyle. »Er war mir stets ein treuer Freund. So klein, aber doch so groß.« Dystariel bäumte sich ein letztes Mal auf. »Und jetzt... lass mich sterben, wie ich gelebt habe. Als Kämpferin ...«
Dystariels Leib erschlaffte und verwandelte sich vor Kais tränenverschleiertem Blick zurück in eine Frau mit langem kupferrotem Haar, das unter ihrem Kopf wie ein Kissen ausgebreitet war. Sie war wunderschön, auch wenn ihr schlanker Körper von unzähligen Narben und klaffenden Wunden entstellt war. Plötzlich wusste Kai,
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