Die Chroniken der Nebelkriege 3: Die Letzte Flamme
roten und blauen Flackerlicht erhellt und ein tiefes Grollen rollte durch die Gewitterwolke weit unter ihnen.
Kai atmete tief ein und sah sich zur Stirnseite des Raums um. Dort führten Treppen hinauf zu einem unheilvollen Thron, den Morgoya offenbar aus einem einzigen Block verderbten Feenkristalls erschaffen hatte. In seinen Kopf- und Armlehnen prangten dämonische Fratzen mit Mäulern, aus denen gespaltene Schlangenzungen hingen. Kais Blick wanderte weiter. Vor den Treppenstufen entdeckte er eine nest-förmige Mulde, in der die gehäuteten Reste einer übergroßen Schlange lagen.
Kai musste an die schwarze Amphitere denken, die sich Morgoya angeblich als Vertraute hielt. Olitrax fauchte und bewegte sich unruhig auf seinem Arm. Schließlich wandte er sich der kolossalen Statue zu, die im Scheitelpunkt der Bogenwand mit den großen Fenstern stand. Sie überragte selbst den Thron und stellte Morgoya als Frau von faszinierender Schönheit dar, die mit triumphierender Geste ein schlankes Zepter von sich gestreckt hielt. An seinem Ende thronte, umfasst von einem massiven mondsilbernen Zackenstern, ein dracheneigroßer Kristall, der auf ein Gestell mit Hand und Fußfesseln gerichtet war. Das Gerüst stand innerhalb eines fünfzackigen Pentagramms aus Mondsilber, in dem auch ein Käfig mit seltsam gesprenkelten Eiern aufgebaut war. Die meisten Eier waren zerbrochen. Dafür wanden sich an den Gitterstäben fingergroße, schwarze Schlangen mit glühend roten Augen, die aggressiv mit ihren winzigen Flügeln flatterten. Das Geräusch, das sie verursachten, hörte sich an wie raschelndes Papier.
»Bei allen Moorgeistern!« Kai trat näher an die Statue heran und betrachtete den Kristall am Ende des Zepters. Ohne Zweifel handelte es sich bei ihm um den gesuchten Lapis elementarum, den Stein der Elemente.
Olitrax stieß sein Drachengebrüll aus, das innerhalb des Käfigs von lautem Geraschel beantwortet wurde. Kai wandte sich dem Käfig zu und war sich sicher, es bei dem aufgescheuchten Gewürm mit der Brut der schwarzen Amphitere zu tun zu haben. Er schaute vom Käfig auf das Pentagramm und von dort über das Gerüst mit den Fesseln hinauf zum Kristall. Ein Schauder erfasste ihn.
»Endlich verstehe ich«, stammelte er. »Gargylen entstehen aus der Verschmelzung von Amphiteren und Menschen, habe ich Recht?«
Dystariel trat zu ihm und nickte. »Morgoyas Macht über die Adligen des Landes basiert auf Zwang«, röhrte sie. Diesmal klang ihre Reibeisenstimme irgendwie erschöpft. »Sie hat von jeder Familie Geiseln genommen. Kein Geschlecht Albions blieb davon verschont. Die Adligen denken, ihre Familienmitglieder werden getötet, wenn sie Morgoya nicht gehorchen. In Wahrheit hat die Elende sie alle bereits verwandelt. Ein Heer von Gargylen. Erschaffen aus dem Blut der vornehmsten Familien Albions und dem der geflügelten Schlangen. Das war Morgoyas Rache dafür, dass niemand sie bei ihrer Gier auf den Drachenthron unterstützt hatte.«
»Du bist die Einzige, die so denkt, Dystariel«, grollte hinter ihnen eine tiefe Stimme. »Wir anderen sehen es vielmehr als Ehre an!«
Kai und Dystariel wirbelten herum und sahen, wie Kruul hinter einem der nachtschwarzen Pfeiler hervortrat. Der Gargylenfürst entfaltete machtvoll seine Schwingen und hob befehlend eine Pranke.
Mit Wucht schlugen die schweren Portalflügel des Saals zu und versperrten so den Ausgang. Hinter dem Thron entflammte ein greller Blitz. Zorniges Gelächter rollte durch den Saal. Einen Moment lang erwartete Kai, Morgoya dort stehen zu sehen, doch stattdessen wurde zwischen den Schatten an der Wand ein weiterer, riesiger Knochenspiegel sichtbar, auf dessen Oberfläche sich ein wallendes Wolkengesicht mit glühenden Augen abzeichnete. Das Gesicht ähnelte dem Antlitz des grimmen Nordwindes, doch sein Wolkenbart war blitz-förmig gezackt und immer wieder tanzten pockenartige Luff-wirbel über die drohende Erscheinung.
»Tornador hat euch schon lange angekündigt«, rasselte Kruul und trat siegessicher auf sie zu. »Ich wundere mich, dass ihr ihn nicht bemerkt habt, denn Heimlichkeit ist nicht gerade seine Stärke.«
»Oh nein«, brüllte das Wolkengesicht hinter ihm und sein Gelächter brauste wie lauter Sturmwind durch den Saal. »Das ist es nicht. Das ist es nicht.«
Tornador? Kai erinnerte sich wieder zurück an die Statue in Alba. Dann hatte Morgoya den Wolkengeist also nicht bezwungen, sie hatte ihn sich dienstbar gemacht. »Du wagst es tatsächlich, uns
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