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Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)

Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)

Titel: Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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über der Stadt der Menschen schwebte. Es war das Gold der Engel.
    Der Zauber zerbrach in glitzernde Funken, und sie setzten ihren Weg fort. Im Saal am Ende des Korridors flackerte roter Fackelschein. Vorsichtig schlichen sie näher heran, duckten sich hinter einem Bücherstapel und spähten in den Saal. Auch hier lagen aufgeschlagene Bücher in wildem Durcheinander am Boden. Der goldene Schimmer vermischte sich allenthalben mit dem Licht der Fackeln und verfärbte es zu blutigem Rot. Und dort, zusammengesunken an einem uralten Schreibtisch, saß Avartos. Er schaute in die Schatten wie in eine verbotene und zugleich verheißungsvolle Fremde. Bleich war sein Gesicht inmitten der Bücher, und er wirkte müde. Plötzlich griff er in seine Tasche und zog einen Kristall daraus hervor, kaum größer als ein Sandkorn. Langsam stand er auf, und mit jedem Schritt, den er in die Mitte des Raumes tat, wich die Erschöpfung dem vertrauten Ausdruck kalter Entschlossenheit, die ihn einst durch Feuer und Frost getrieben und zu dem Krieger gemacht hatte, der er war. Wortlos ließ er den Kristall wenige Schritte von sich entfernt in der Luft schweben und schloss die Augen.
    Goldenes Licht brach aus dem Kristall, wie feinster Staub legte es sich auf die Szene. Dann lösten sich die Umrisse des Raumes auf und bildeten einen riesigen Saal nach. Mächtige Bücherregale reichten so hoch hinauf, dass Nando ihr Ende nicht erkennen konnte. Silbernes Wasser perlte von kunstvoll verzierten Säulen und der Boden glänzte gläsern. Er warf Noemi einen Blick zu, doch ihre Augen waren nichts als zwei dunkle Seen, und Kaya betrachtete das Schauspiel so hingegeben, dass Nando kein Zweifel mehr blieb: Vor ihnen lag Arsvidor, die Bibliothek der Engel in ihrer Stadt Nhor’ Kharadhin.
    Nando wusste, dass er nur eine Illusion sah, die Avartos mit seinen Gedanken erschuf, und doch meinte er, die kühlen Nebel des Berano-Glases auf seiner Haut zu spüren, aus dem die meisten Gebäude der Engelstadt errichtet worden waren. Es widerstand Stein und Metall ebenso wie höchster Magie. Die Legenden sagten, dass es aus den Tränen der ersten Drachen geschaffen worden war, und Nando musste lächeln, als er den Blick durch die Bibliothek schweifen ließ. Viele besondere Orte hatte er gesehen, seit er in die Schattenwelt gekommen war, aber selten hatte ihn ein solcher Zauber ergriffen wie in diesem Moment. Avartos öffnete die Augen. Mit konzentriertem Blick streckte er die Hand aus, ein kaum merklicher Impuls aus blauem Licht traf den Kristall, und ein Name glitt über seine Lippen, der Nando einen Schauer über den Rücken schickte.
    »Hadros Baldur Ragnarvar.«
    Der Kristall glomm auf, und Nando hörte Stimmen aus lang vergangener Zeit von dem mächtigsten Krieger erzählen, den das Volk der Engel je hervorgebracht hatte. Krieger des Ersten Lichts, Herrscher der Scherben und Flüche der Kerebrar, Höchster Jäger des Schwarzen Blutes, Träger der Zwölf Flammen und Meister der Silbernen Raben. Mit jedem Namen beschleunigte sich Nandos Herzschlag, und er hielt den Atem an, als plötzlich Licht aus dem Kristall brach und Avartos in die Brust traf. Der Engel breitete die Arme aus und wurde in die Luft gehoben. Feine Lichtadern glitten aus seinen Fingerspitzen, legten sich auf die Bücher der Bibliothek und ließen Bilder daraus aufsteigen, bewegte Zeugnisse von Hadros’ Heldentaten. Zuerst schemenhaft, dann immer deutlicher flammten sie durch den Raum und durchstoben Avartos’ Leib, und als er zusammenzuckte, ohne die Augen zu öffnen, begriff Nando, was er tat: Der Engel las. Er durchdrang tausend Geschichten auf einmal, und alle handelten von ihm: Hadros, dem Ersten Pfortenengel und Hüter von Bhalvris, dem Teufelsschwert. Aus unzähligen Bildern sah er Nando an. Hochgewachsen war der Krieger des Lichts, sein helles Haar fiel weit auf seinen Rücken hinab, und seine Augen waren von so klarem Gold, als hielte er das Licht von Sonne und Mond in ihnen gefangen. Sein Gesicht war alterslos und doch stand eine Weisheit darin, die der Rauheit seiner Wangenknochen und dem grausamen Zug um seinen Mund etwas Erhabenes gab.
    Avartos bewegte kaum merklich die Finger. Das Licht hüllte seinen Körper ein, als er die Bilder zu voller Größe entfachte. Viele erkannte Nando wieder. Er sah Hadros in der Schlacht der Zwölf Reiche, sah ihn ausziehen gegen die Horden der Glühenden Steppe und den Schwarzen Reitern die Köpfe von den Leibern trennen. Er sah ihn über die Meere

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