Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)
sich nie. Habt ihr etwa vergessen, wie oft er uns das gesagt hat? Ist ihm vielleicht etwas zugestoßen?« Plötzlicher Ernst brach durch ihre Unschuldsmiene, als sie den Schlüssel sinken ließ und Nando ansah. »Du hast es selbst gesagt: Die Zeit wird knapp. Noch sind die Engel damit beschäftigt, ihre Toten zu zählen und die Gefangenen aus den Klauen der Dämonen zu befreien, die sich in den Schatten verborgen halten. Doch bald schon werden sie zu alter Stärke zurückkehren, um zu beenden, was sie begonnen haben. Und das ist noch nicht alles.«
Nando spürte ihren Blick wie Feuer auf seiner Haut. »Sie werden mich jagen. Und vermutlich sind sie damit nicht allein.«
»Bhrorok ist gefallen«, murmelte Kaya. »Aber die ersten vier Höllenkreise wurden befreit.«
Noemi nickte kaum merklich. »Und in ihnen herrschten mächtigere Dämonen als der Wolfsflüsterer, darauf könnt ihr wetten. Luzifer wird die stärksten von ihnen auswählen und sie auf deine Fährte setzen, nachdem sein Oberster Krieger versagt hat.« Sie drehte den Schlüssel zwischen den Fingern. »Ich weiß, dass Avartos uns verboten hat, ihn bei seiner Arbeit zu unterstützen, und er hat sicher seine Gründe dafür. Aber ich bin die Geheimniskrämerei leid. Seit Tagen hockt er nun über den Büchern, ohne dass er etwas herausfindet. Ich will endlich wissen, was er dort drinnen treibt, und wenn er keine Fortschritte macht, müssen wir uns einen anderen Plan überlegen, ob es ihm nun passt oder nicht. Gemeinsam. So, wie wir es ausgemacht haben.«
Nando erinnerte sich gut an die Eindringlichkeit, mit der Avartos sie davor gewarnt hatte, seine Arbeit zu stören, wusste auch, dass die Magie des Lichts Gefahren barg, die er nur erahnen konnte, und dennoch … Noemi hatte recht. Zu lange suchten sie nun schon nach einer brauchbaren Spur, zu lange tappten sie im Dunkeln, und währenddessen konnten Himmel und Hölle ihre Netze weben und sie enger um die Nephilim ziehen – und um ihn selbst. Sie mussten etwas tun. Langsam nickte er.
Unauffällig sahen sie sich um, doch die Straße lag verlassen da. Vorsichtig schob Noemi den Schlüssel ins Schloss. Für einen Moment erwartete Nando, dass sich die Türen des Portals quietschend öffnen würden, doch sie glommen nur leicht auf und wurden durchscheinend. Dahinter lag tiefste Finsternis. Noemi drehte die Handflächen nach vorn, Nando spannte die Muskeln an und stellte erleichtert fest, dass der Bann vollständig von seinen Schwingen gewichen war. Nur Kaya rührte sich nicht, abgesehen von den Krallen, die sie tiefer in Nandos Schulter grub. Ohne jedes Geräusch traten sie ein.
Schemenhaft erkannte er hohe Bücherregale, mit Folianten beladene Tische und abgenutzte Sessel, auf denen Pergamentrollen herumlagen. Die Stille war staubig wie die Luft in Antiquariaten, und erst als sie mehrere Lesesäle durchquert hatten, durchbrach der Schein einer Fackel die Finsternis. Sie erhellte eine Wendeltreppe, die abwärtsführte. Flackernde Kerzen brannten auf den Stufen, doch ihr Licht drängte die Dunkelheit kaum zurück, und Nando wäre Noemi fast in die Hacken getreten, als sie plötzlich am Fuß der Treppe stehen blieb. Vor ihnen lag ein gewundener Korridor, dessen Boden mit unzähligen Büchern bedeckt war. Sie waren zu schwindsüchtigen Türmen gestapelt, lagen aufgeschlagen übereinander oder lehnten in langen Reihen an den Wänden. Ein Windhauch strich über die Seiten und ließ sie flüstern.
Seht nur , raunte Kaya. Sie war von Nandos Schulter gesprungen und hockte neben einem Buch, auf dessen Einband ein goldener Schimmer lag. Noemi beugte sich hinab, dass ihr Gesicht erhellt wurde, und als Nando das Licht berührte, erhob es sich wie ein seidenes Tuch in die Luft. Lautlos flog es auf ihn zu, irgendetwas in ihm rief ihm zu, dass er sich ducken sollte vor dem Zauber, doch erst als Noemi nach seinem Arm griff, ging er in die Knie. Geschmeidig strich das Licht über ihre Köpfe und ließ die Bücher im goldenen Glanz erglühen. Nando war es, als würde er im Schein der Sonne stehen, doch dieses Licht spendete keine Wärme. Es war kühl und geheimnisvoll wie der Glanz des Mondes, und für einen Moment spürte er dieselbe Faszination und Anziehung, die er empfunden hatte, als er nach seinem Ritt auf Matradons Rücken in den Himmel Roms geschaut hatte. Er kannte diesen Schimmer. Er hatte ihn bereits in Zaubern gesehen, gewirkt mit der Magie des Lichts, und er erinnerte sich an das Gold Nhor’ Kharadhins, das hoch
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