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Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)

Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)

Titel: Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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ein, auf der Stelle, als hätte er seit Jahren nicht geschlafen, und plötzlich stiegen Erinnerungen an den Marsch der Nephilim in ihm auf, an Antonio, Silas und die Ebene ohne Zeit, aber auch an die Augen der Kinder, die in den Gängen der Schatten gestorben waren, an die Verletzten, die noch immer mit dem Tod rangen – und an das Vertrauen in ihrem Blick, mit dem sie ihn ansahen. Wie ein Schattenriss erstand Bantoryn vor ihm auf, er fühlte den Wind der verlassenen Gassen so deutlich auf seinem Gesicht, dass er schauderte, und sah ihn noch einmal, den Drachen hoch über den Dächern, der Verderben und Tod und Einsamkeit barg und doch nur eines war: ein Symbol der Hoffnung.
    Als er Mara ansah, schien es ihm, als könnte sie jede einzelne Erinnerung in seinen Augen erkennen. »Ich gehe diesen Weg«, erwiderte er langsam, »weil es keinen anderen für mich gibt.«
    Erst jetzt, da er es aussprach, fühlte er die Stärke dieser Gewissheit in sich widerklingen. Auch er konnte tausend Gründe nennen, die gegen ihn sprachen, tausend Gründe, die ein Scheitern unumgänglich machten, tausend Gründe, die ihn schwächten und ihm den Schlaf raubten. Und doch hielten sie nicht stand gegen diese Kraft. Er war der Sohn des Teufels, er war ein Nephilim und ein Krieger, und er würde nicht dulden, dass sein Volk zwischen Licht und Finsternis zerrieben wurde. Er würde nicht fliehen, er würde den Schatten trotzen – weil er es so wollte.
    »Dann musst du gehen«, sagte Mara, und ihre Stimme zitterte ein wenig, als sie die Hand auf Nandos Herz legte. »Denn niemand stellt sich diesem Willen entgegen. Ich weiß, dass du Angst hast, ich weiß, dass du zweifelst, aber dieser Wille hat dich siegen lassen über Finsternisse, die du bis dahin nicht einmal für möglich gehalten hast. Deine innere Stimme ist stark. Höre auf sie und halte dich an ihr fest auf deinem Weg. Dann wirst du nicht scheitern, ganz gleich, was geschieht.«
    Sie zog ihn an sich, für einen Moment schloss er die Augen, und er sah sie beide vor sich, Hand in Hand, wie sie aus dem Wartesaal des Krankenhauses nach draußen traten. Der Wind war kalt gewesen, Nando erinnerte sich daran, wie der Himmel von den Blitzen zerfetzt worden war, und er hörte Maras Worte von damals so deutlich, als würde sie sie gerade aussprechen. Keine Angst , sagte sie, und er fühlte ihre kühle, regennasse Hand auf seiner Wange. Ich bin bei dir.
    Dann löste sie sich von ihm. Die Blütenblätter tanzten um sie herum, und wie damals antwortete sie auf seine fast lautlos gestellte Frage.
    »Ja«, flüsterte sie. »Für immer.«
    Wortlos griff sie nach ihrem Pinsel. Sie fuhr mit der Kante über die Leinwand, und da brachen Farben unter der schwarzen Wüste hervor, leuchtende Farben. In feinen Strichen verwandelte Mara die Wüste und den Himmel in einen Tanz aus Feuer und Nacht, und Nando spürte die Zuversicht, die in jeder flammenden Linie lag, als sie den Titel darunterschrieb. Es war ein einzelnes Wort: Morgen .
    Sie ließ den Pinsel sinken und lächelte leise. Er wollte ihr noch so vieles sagen, doch nun, da sie auf ihn zutrat, zerfiel jeder Gedanke zu Asche. Noch einmal strich sie ihm durchs Haar. Er nahm jedes Detail wahr, ihr Haar im Wind, das Glitzern in ihren Augenwinkeln, und spürte die Wärme ihres Blicks wie damals. Dann wandte sie sich ab, und ehe ihr die Tränen kamen, ließ sie ihn allein.

6
    Der Nachtmarkt war das Herz Katnans. Bunte Lampions hingen an Schnüren über schmalen Gassen, Scharen von Besuchern drängten sich an den Ständen vorüber, und fast hätte Avartos inmitten des Stimmengewirrs den Eindruck gewonnen, dass es sich um einen gewöhnlichen Markt der Menschen handelte. Doch ein Blick auf die feilgebotenen Waren genügte, um ihn eines Besseren zu belehren. Denn neben Kleidung, Waffen und magischen Artefakten gab es vor allem kulinarische Schrecklichkeiten wie aufgespießte Käfer, gegrillte Ratten und panierte Katzenköpfe zu bewundern, und wenn der allgegenwärtige Gestank nach gebratenem Fleisch nicht bereits dafür gesorgt hätte, dass sich seine Laune in rasanter Geschwindigkeit dem Tiefpunkt näherte, so tat es die Enge zwischen den Ständen garantiert.
    Avartos verabscheute körperliche Nähe, ganz besonders dann, wenn er sie sich nicht aussuchen konnte. Eingezwängt zwischen einem fetten Dämon und einer Menschengruppe, die sich durch die Menge walzte, als wären ihre Mitglieder aneinander festgewachsen, bewegte er sich voran. Gern hätte er diesen

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