Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)
Ausflug ins Zentrum der katnanschen Abscheulichkeiten vermieden, doch ihm blieben nur noch wenige Stunden. Dann würden sie aufbrechen, und wenn er eines genau wusste, dann dies: Die Reise würde sie an ihre Grenzen treiben und womöglich darüber hinaus. Da konnte es nicht schaden, vorbereitet zu sein.
Der Dämon bohrte Avartos den Ellbogen in die Seite, doch gerade als dieser den wandelnden Fleischberg in eine Kiste eingelegter Kakerlaken stoßen wollte, tauchte der Stand des Laskantinhändlers vor ihm auf. Selten hatte Avartos angesichts eines schmutzigen Zeltes eine solche Erleichterung gefühlt, und als er eintrat, verringerte sich seine Anspannung umgehend. Mannshohe Glaszylinder standen an den Wänden und ließen den rötlichen Schein über die Theke in der Mitte des Zeltes und die mit seidenen Tüchern umgebenen Kabinen gleiten. Schattengnome huschten umher, die Arme voller leerer Ampullen und Kanülen, und hinter der mit Fläschchen überladenen Theke hockte ein Dämon mit weiß bemaltem Gesicht und Harlekinmütze. Sein Oberkörper war mit Tätowierungen bedeckt, die wie lebendige Wesen über seine Haut glitten. Er bewegte einen veränderlichen Kristallwürfel zwischen den Fingern, der je nachdem, wie seine Elemente verschoben wurden, in verschiedenen Farben aufglomm. Flackernd legten sie sich auf das Gesicht des Dämons und verwandelten es je nach Farbe in eine boshafte Fratze oder die unschuldige Miene eines Kindes. Als Avartos zu ihm an die Theke trat, sah er nicht auf, doch ein Lächeln zog sich über seinen breiten Mund, das ihm etwas Verschlagenes gab.
»Reinstes Engelsblut«, sagte er mit rauer Stimme. »So kommt Ihr also selbst und ruft keinen meiner Boten in die Bibliothek wie in den letzten Tagen? Welch Ehre für mein bescheidenes Haus.«
Avartos zeigte keine Regung. »Die Zeit drängt. Ein Händler wie du, Korrodos, sollte das wissen. Und mir steht diesmal nicht der Sinn danach, wie üblich auf deine Gehilfen zu warten, die sich unterwegs betrinken oder von irgendwem gefressen werden. Ich hörte von dem Zwischenfall in den Rarzedas. Betrüblich, wenn man auf einen Schlag sieben Gnome durch die Klauen eines Geistes verliert.«
Korrodos schnaubte verächtlich, hielt es aber offensichtlich nicht für nötig, auf Avartos’ Worte einzugehen. »Ihr tragt so viel Licht in Euch, dass es mir die Haut verbrennen könnte, würde es mich kümmern. Erstaunlich, einen Engel wie Euch hier unten zu sehen. Einen Engel, meine ich, der solche Macht in sich trägt und solche Kälte. Seit Langem liefere ich meine Ware auch in die Goldene Stadt, doch selten verirrt sich einer von euch hier herunter. Wisst Ihr, was man sich in den Schatten über die Gründe erzählt? Es heißt, dass sich die Engel vor der Dunkelheit fürchten, weil sie Angst haben, von ihr gefressen zu werden.«
Mit klackendem Geräusch drehte er den Würfel. Grünes Licht verlieh seinen Zügen etwas Maskenhaftes. Nur die Augen glommen in purpurner Glut auf, als er seinen Blick auf Avartos richtete – lauernd und ohne den Kopf zu heben.
Avartos legte beide Hände auf die Theke, ungeachtet der Flüssigkeiten, die in seiner Nähe anfingen zu gefrieren.
»Seltsam«, erwiderte er leise. »In der Goldenen Stadt erzählt man sich andere Geschichten über die Dunkelheit. Dort heißt es, dass es sie nur gebe, um die Kreaturen darin zu verhüllen, die mit ihrer Hässlichkeit sonst die Sonne zum Erlöschen bringen würden. Die Nacht, so hört man in den gläsernen Straßen Nhor’ Kharadhins, würde zerreißen, wenn das Licht sich nur entschließen würde, ihr ins Angesicht zu schauen – zu schrecklich wäre der Anblick solcher Schönheit für die Dunkelheit.« Langsam ließ er den Blick über die Narben gleiten, die sich den Hals des Dämons hinaufzogen und die so tief waren, dass selbst ein Zauber sie nicht verbergen konnte. Dann lächelte er leicht. »Ich bin sicher, Ihr wisst, was ich meine.«
Das Lächeln fraß sich ins Gesicht des Dämons wie zerlaufende Tinte und färbte seine Lippen schwarz. »Ich weiß, dass die Sklaven des Lichts seit dem Beginn ihrer armseligen Existenz meine Kunden sind. Ihr ertragt das Gold nicht, das ihr so bejubelt – keiner von euch. Seid Ihr nicht das beste Beispiel, trotz Eurer Stärke? Und ich fühle die Kraft in Eurem Leib, seit Ihr inmitten der stinkenden Menschen zu meinem Zelt gespült wurdet. Ich spüre auch den Drang, sie alle mit einem Fingerzeig zu verbrennen – ja, Ihr braucht nicht erstaunt zu sein,
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