Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)
nicht – sie waren zu zwei Scherben aus Eis gefroren. Instinktiv stieß Nando sie von sich, presste die Zähne zusammen, als ihre Nägel sich aus der tiefen Wunde in seiner Brust lösten, und starrte auf den Pfeil, der sich in ihren Hals gegraben hatte. Dann glomm das Geschoss auf. Sie wurde wie von unsichtbaren Händen zurückgerissen und landete krachend an einer Häuserwand. Schemenhaft erkannte Nando Avartos mit seinem Bogen auf dem gegenüberliegenden Dach. Jetzt breitete der Engel die Schwingen aus, im Flug ergriff er Noemi, die von den drei anderen Reitern in die Enge gedrängt worden war, und erhob sich wieder in die Luft, ehe sie ihn packen konnten. Laut wiehernd preschte das Pferd des Kriegers auf Nando zu, halb vom fluchbringenden Sturm getragen, doch da landete eine Gestalt zwischen ihnen, riesengroß und schwarz wie die Nacht. Ein Panther war es, der sich brüllend vor den übrigen Reitern aufbaute, und auf seinem Rücken saß ein Dämon.
»Kreaturen der Nacht«, brüllte Drengur, dass die umliegenden Häuser erbebten. »Verschwindet in die Schatten, in die ihr gehört – oder verbrennt in meinem Licht!«
Und mit diesen Worten schlug er einen Zauber zu Boden, gleißend hell und so ohrenbetäubend, dass Nando die Luft aus der Lunge gepresst wurde. Er sah noch, wie die Reiter zurückwichen. Dann packte Drengur ihn am Kragen und folgte Avartos in rasenden Sprüngen über die Dächer. Das Blut rauschte in Nandos Ohren, wie von ferne vernahm er das Brüllen des Kriegers, als die Reiter ihnen nachjagten. Doch gleich darauf umfing sie das Tor des Pharrys mit kühler Dämmerung. Das Letzte, was Nando hörte, war der heisere Schrei einer Krähe – und die Frage, die der Teufel ihm gestellt hatte und die ihn in Gedanken wieder zurücktrug in flüsternden Rauch.
Worauf wartest du?, hatte Luzifer gefragt. Worauf wartest du, mein Sohn?
8
Nando erwachte vom leichten Schwanken des Bodens und stellte fest, dass er im Rumpf eines kleinen Bootes lag. Eiskalt glomm ein Heilzauber auf seiner Wunde. Avartos hatte starke Magie wirken müssen, um die Blutung zu stillen. In den Gängen der Schatten war das gewesen, noch immer fühlte Nando ihre drängende Dunkelheit auf seiner Stirn. Er erinnerte sich daran, dass er nach Giorgio gefragt und Drengur ihm gesagt hatte, dass sein Freund es schaffen würde. Dann musste er das Bewusstsein verloren haben.
Stöhnend richtete er sich auf. Das Wasser war regungslos wie ein glänzender schwarzer Stein. Ohne jedes Geräusch glitt das Boot darüber hin, die flammenden Fluchzeichen im Bug zerschnitten die Oberfläche und hielten die Kreaturen fern, die jenseits des Lichts nur darauf warteten, das Wasser aufzuwühlen und alles Leben darin zu ertränken. Drengur stand am Bug, flankiert von Althos, dessen schwarzes Fell im Schein des Feuers glänzte, und steuerte das Boot durch die Finsternis.
Nando hörte die leisen Stimmen aus den Tiefen des Wassers und realisierte, dass sie sich auf dem Urjothon befanden, dem sagenumwobenen Giftsee in den Brak’ Az’ghur. Nur wenigen Dämonen war es vergönnt, ihn zu überqueren, denn dafür brauchten sie die Erlaubnis von Arja, der Nymphe, die über dieses Gewässer wachte. Wem sie jedoch die Überfahrt gestattete, der hatte die Oberwelt schon fast erreicht. Denn dort, auf der anderen Seite, endete das Hoheitsgebiet Katnans. Dort begann die Macht der Engel.
»Verflucht, willst du mich umbringen?«
Noemi saß neben Avartos am Rand des Bootes und schlug die Hand des Engels beiseite, der einen Zauber auf die Wunde in ihrer Schulter legen wollte. Kaya, die etwas zerrupft auf der Geige hockte, grinste ein wenig, doch der Engel hob gelangweilt die Brauen.
»Das könnte ich einfacher haben, und ich müsste mir dabei nicht dein Gefluche anhören.« Mit einer schnellen Bewegung griff er nach Noemis Arm und presste die freie Hand auf ihre Schulter. Ein erstickter Schmerzenslaut entwich ihrer Kehle, aber er ließ sie nicht los. »Die Wunde ist tief«, sagte er eindringlich. »Wenn ich sie nicht säubere, wirst du entweder den Verstand verlieren oder sterben. Wobei Ersteres vielleicht keinen großen Unterschied macht.«
Wenn Noemi fähig gewesen wäre, jemanden mit einem Blitz aus ihren Augen zu erschlagen – Avartos wäre ihr Opfer gewesen, daran zweifelte Nando nicht. Mit unverhohlenem Zorn befreite sie ihren Arm, aber sie ließ es zu, dass der Engel sie heilte, ohne noch einen Ton von sich zu geben.
Nando bewegte die Schwingen, und ein stechender
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