Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)
für einen Moment schien es Nando, als würde er seine Worte zurücknehmen wollen – als würde er fürchten, dass Nando dieses Angebot annehmen könnte.
»Das soll wohl ein Scherz sein«, zischte Noemi. »Schlimm genug, dass ich mit einem verfluchten Engel auf Abenteuerreise gehe. Niemals werde ich die Magie des Lichts erlernen, die Magie unserer Feinde!«
»Vielleicht solltet ihr euch dann mit dem Teufel verbünden«, erwiderte Avartos kalt. »Das wäre doch ratsam, wenn eure schlimmsten Feinde die Engel sind.«
Noemi verschränkte die Arme vor der Brust, doch ehe sie antworten konnte, griff sie mit schmerzverzerrtem Gesicht nach ihrer Schulter.
»Ihr werdet noch eine Weile mit euren Verletzungen zu tun haben«, sagte Avartos gleichmütig. »Aber ich konnte das Gift neutralisieren. Wenige Augenblicke später, und ich hätte euch nicht mehr retten können. Die Magie meines Volkes ist die einzige Kraft, die es mit der Macht der Hölle aufnehmen kann, ohne euch noch tiefer in die Finsternis zu führen – du weißt das, Tochter der Schatten!«
Für einen Moment hoffte Nando, dass Noemi etwas erwidern würde, irgendetwas, das den Weg des Lichts vor ihnen verschließen würde. Doch sie schwieg, und er richtete seinen Blick auf das Wasser. Deutlich spürte er die drängende Sehnsucht nach dem Gold Nhor’ Kharadhins, die ihn jedes Mal überfiel, wenn er an die Stadt der Engel dachte. Aber er erinnerte sich auch an den kalten Glanz, der die Gesichter der Engel so kühl und gleichgültig machte, und den reglosen Schimmer in den Augen Antonios, der mitunter ebenso eisig gewesen war wie der Blick seiner Verfolger, fast so … fast so, als wäre er tot. Nando sah in der Schwärze des Sees das Gesicht des Teufels aufflammen. Wie sanft er geklungen hatte, wie warm seine Stimme gewesen war. Nicht mehr als eine dünne Haut hatte sie voneinander getrennt, und Nando hatte keine Furcht empfunden, keine Abwehr, noch nicht einmal Zorn. Doch ehe das Gefühl der Vertrautheit erneut von ihm Besitz ergreifen konnte, wandte er sich ab. Er zwang sich, an die Schatten der Hölle zu denken, durch die Kymbras Macht ihn getrieben hatte, hörte sie flüstern, betörend und wild, und schaute hinab auf die Felder aus Leichen, über die er auf ihren Schwingen geflogen war, ohne dass er mehr dabei empfunden hatte als ein rauschhaftes Glücksgefühl. Langsam schüttelte er den Kopf. Er würde sich den Schatten stellen müssen auf seinem Weg, doch er würde ihnen nicht folgen. Er würde sie auslöschen, und wenn dazu der kalte Glanz der Engel nötig war, dann würde er ihn ertragen. Er würde nicht fallen.
Der Teufel lächelte in der Schwärze des Sees, Nando konnte ihn sehen, ohne den Blick zu wenden, und ehe sein Bild in der Tiefe verschwand, hörte er seine Stimme in seinen Gedanken.
Doch, mein Sohn , raunte er. Das wirst du. Und dein Fall wird umso tiefer sein, je länger du vor dir selbst davonläufst.
Nando wartete, bis jeder Ton verklungen war. Dann suchte er Avartos’ Blick. »Unser Weg führt uns in die Schatten. Es kann nicht schaden, ihnen mit der Glut ihrer Feinde zu begegnen. Wirst du uns die Magie des Lichts lehren?«
Avartos nickte unmerklich. »Das werde ich. Doch es wird ein langer Weg für euch sein. Ihr kennt nur das Zwielicht, ihr wisst nichts vom Feuer meines Volkes. Wenn ihr die Magie des Lichts begreifen wollt, müsst ihr zuhören und die Regeln beachten, sonst kann es gefährlich werden für uns alle.«
Noemi verdrehte die Augen. »Du sprichst, als hättest du es mit Gnomen zu tun, die sich nicht einmal auf magische Weise die Füße waschen können.«
Avartos bedachte sie mit einem abschätzigen Blick. »Ich werde mit euch sprechen, als wäret ihr Gnome, wenn ihr euch nicht klüger anstellt. Die Schatten mögen dir gefällig sein, vielleicht beherrschst du sie deshalb. Doch das Licht lässt sich nicht becircen. Es glüht in Kälte, das ist seine Macht. Und ohne jeden Zweifel wird es jeden vernichten, der sich dem Unglauben und der Selbstüberschätzung hingibt.«
»Was du nicht sagst«, erwiderte Noemi. »Es ist amüsant, gerade dich von Unglauben und Selbstüberschätzung sprechen zu hören.«
Da wandte Drengur sich ihr zu. »Genauso amüsant wie dein Groll gegen etwas, das du nicht begreifst. Ich lehrte euch Verachtung vor dem Licht, doch niemals Respektlosigkeit angesichts einer Tat, die Demut verlangt. Es ist eine Ehre, von einem Engel in seiner Magie unterrichtet zu werden. Sprecht nicht in kaltem Spott, wie
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