Die Chroniken von Amarid 02 - Der Kristall der Macht
Fremden?«
»Einige, ja.« Crob zögerte, als wäre er unsicher, ob er sich dem Falkenmagier wirklich anvertrauen sollte. »Seit vielen Jahren«, erklärte er schließlich, »heuern unsere Potentaten Söldner an, um ihre Kriege zu führen, statt das Leben der jungen Männer von Abboriji aufs Spiel zu setzen.« Er lächelte bedauernd. »Das hat, wenn man bedenkt, wie gerne wir kämpfen, zumindest dazu beigetragen, dass die Bevölkerung inzwischen nicht nur noch aus Frauen besteht. Bisher hat es auch bedeutet, dass die geringeren Adligen mit den kleineren Schatztruhen keine Gelegenheit hatten, ihre Territorien zu erweitern.«
»Und das ist inzwischen anders?«
Crob nickte abermals. »Ja. Vor kurzem kamen viele Söldner aus Lon-Ser in unser Land. Das ist an sich nicht überraschend. Lon-Ser war immer ein guter Platz, wenn man Krieger rekrutieren wollte. Aber die Autoritäten von Lon-Ser haben bisher strikt darauf geachtet, dass keine Waffen und andere hochentwickelte Waren aus dem Land gebracht wurden. Sie haben diese Politik beinahe mit Besessenheit verfolgt. Nun allerdings hat ihre Wachsamkeit nachgelassen, und Abboriji wurde überrannt von Männern mit schrecklichen Waffen. Früher einmal haben die Söldner nur andere Söldner getötet. Nun töten sie Zivilisten und zerstören die Dörfer und Städte.«
»Was für Waffen sind das?«, hatte Orris beunruhigt gefragt. »Seltsame. Waffen, wie ich sie noch nie zuvor gesehen habe. Geräte, die Feuer spucken, Gegenstände, die in eine Hand passen und mehr Schaden anrichten können als eine Ramme.« Crob schüttelte den Kopf. »Ich habe Angst um Abboriji. Ich frage mich, ob wir nicht vielleicht Magier anwerben sollten, um uns zu schützen.«
Crob hatte versucht zu lachen, als hätte er seine letzte Bemerkung als Witz gemeint. Aber Orris hatte seinem Freund angesehen, dass er die Situation alles andere als komisch fand. Und als er nun auf die Überreste des bizarren und tödlichen Vogels hinunterschaute, der seinen Weg bis in diese kleine Stadt am Moriandral gefunden hatte, begann Orris zu begreifen, wie Crob an diesem Tag zumute gewesen sein mochte. Fremde mit verblüffend zerstörerischen Waffen waren nach Tobyn-Ser gekommen. Sie hatten die Dörfer und Städte des Landes zerstört und seine Menschen ermordet. Und ebenso wie Crobs Volk war Orris machtlos, wenn es darum ging, diese Eindringlinge aufzuhalten.
Der Falkenmagier drehte sich um und ging zum anderen Ende der Straße, wo der zweite Vogel lag. Dabei dachte er darüber nach, was er als Nächstes tun sollte. Viele Möglichkeiten blieben ihm nicht. Wenn Pordath überlebt hätte, hätte er vielleicht noch mehr tun können, aber da ihm nur ein kleiner Rest seiner Macht zur Verfügung stand, und angesichts dessen, was er an diesem Abend gesehen hatte, wusste er, dass er handeln musste, dass die Zeit des Beobachtens und Wartens vorüber war. Trotz der Gefahren, die ihm drohten, sah er nur eine einzige Chance.
Als er den Vogel erreicht hatte, bückte sich Orris und bewegte seinen Ceryll dicht über dem Boden. Er entdeckte das Auge, das er schon einmal untersucht hatte, beinahe sofort, aber zunächst konnte er das andere nicht finden. Dann sah er es im bernsteinfarbenen Licht seines Kristalls im Straßenstaub glitzern. Orris hob es mit Daumen und Zeigefinger auf und staunte über die schlichte Schönheit des falschen Auges. Er wusste, dass er ein schreckliches Risiko einging, aber er glaubte auch, dass sich das Auge irgendwann als hilfreich erweisen könnte, und steckte es in eine kleine Tasche seines Umhangs. Da beide Augen ausgefallen waren, hoffte er, dass Sartol nicht misstrauisch werden würde, wenn er später nur eines wiederfinden konnte. Bei diesem Gedanken spähte er zum nördlichen Ende der Stadt, und das war gerade noch rechtzeitig, denn er entdeckte Sartol, der wieder auf den Marktplatz zukam, nun allein mit seinem Pferd und der großen Eule auf der Schulter. Rasch deckte Orris seinen Ceryll zu und zog sich wieder in sein Versteck in der Gasse zwischen den Läden zurück. Von dort aus beobachtete er, wie der Eulenmeister die Leichen und die Trümmer untersuchte, die auf der Straße lagen. Orris begriff allerdings bald, dass Sartols Inspektion nicht so ausführlich war wie die, die er selbst zuvor durchgeführt hatte. Als der Eulenmeister zu den großen schwarzen Vögeln kam, hob er sie einfach hoch und trug sie zu seinem Pferd, ohne sie sich vorher genauer anzusehen. Es kam Orris unmöglich vor, dass Sartol
Weitere Kostenlose Bücher