Die Chroniken von Amarid 02 - Der Kristall der Macht
war allerdings klar, dass dies keine ausreichende Begründung dafür wäre, sich für eine spätere Verhandlung auszusprechen. Falls die Übermacht der Eulenmeister ihre Strategie durchkreuzen sollte, würde das bedeuten, dass sie aus Sartols Verschwörung nichts gelernt hatten. Und das war keine angenehme Vorstellung.
Orris schob auch diese Ängste beiseite und sah sich im Versammlungssaal um, suchte nach irgendetwas, dass ihm deutlicher machen würde, worin Sartols Absicht denn nun bestand. Er war nicht sicher, wonach er Ausschau hielt, vielleicht nach einer Veränderung der Großen Halle oder sogar einer Veränderung an Sartol selbst. Er hoffte, es zu erkennen, wenn er es sah, oder dass es zumindest Baden oder Trahn auffallen würde.
Am anderen Ende des riesigen ovalen Tisches, der in der Mitte des Saales stand, lagen Jessamyns und Peredurs Stäbe quer über den Armlehnen ihrer Stühle, und näher an Orris' derzeitiger Position ruhten zwei leere Körbe auf Alaynas und Jaryds Stühlen, zweifellos dieselben, die die jungen Magier bei der Mittsommerversammlung benutzt hatten, um die Federn zu sammeln, die man ihnen während der Lichterprozession gegeben hatte. Es war eine angemessene Demonstration der Trauer um die vier Mitglieder der Delegation zu Therons Hain, die umgekommen waren - oder die man zumindest für tot hielt. Orris bemerkte seltsam abwesend, dass Sartol nichts dem Zufall überließ. Er stellte auch etwas weniger unbeteiligt fest, dass man seinen Stuhl und die Stühle von Trahn und Baden von ihren Plätzen am Tisch entfernt hatte und dass sie nun direkt vor der Stelle standen, an der Niall stehen geblieben war. Man hatte sie in einer Reihe aufgestellt und dem ovalen Tisch und dem Rest der Magier zugewandt. Wortlos bedeutete Niall Orris, Baden und Trahn, ihre Plätze einzunehmen. Nachdem sie diesem lautlosen Befehl nachgekommen waren, schaute der silberhaarige Eulenmeister Odinan an, der direkt rechts vom Stuhl der Weisen saß, und nickte einmal. Der alte Eulenmeister, dessen kleine, rundköpfige Eule auf seiner Schulter hockte, nickte ebenfalls, erhob sich steif und stieß einmal mit dem Stab auf den Boden. Das Geräusch hallte laut von den Mauern und der Kuppeldecke wider und brachte die anderen Magier im Saal auf die Beine. Einen Augenblick später hörte Orris, wie am anderen Ende des Saals eine Tür aufging.
Er schaute in diese Richtung und sah, wie Sartol aus den Räumen der Eulenweisen kam und zum Tisch ging. Hoch gewachsen und von gerader Haltung, bewegte sich der Eulenmeister auf eine Art, die jeden anderen im Saal ungelenk wirken ließ. Seinem sonnengebräunten, wie gemeißelt wirkenden Gesicht war nichts von seiner Stimmung oder seinen Plänen anzusehen, und er ließ mit befehlsgewohnter Sicherheit den Blick über die Anwesenden schweifen. Die große Eule auf seiner Schulter - die Eule, die Pordath getötet hatte - sah sich ebenfalls mit halb geschlossen Augen im Saal um und wirkte dabei so beeindruckend und gefasst wie der Mann, an den sie sich gebunden hatte. Noch während er Sartol ansah und den Vogel verfluchte, der ihn zum Unbehausten gemacht hatte, noch während er nach dem Tod des Eulenmeisters gierte, selbst während er registrierte, wie erschöpft Sartol aussah, fühlte sich Orris dennoch entmutigt von der Kraft, die der Magier und sein Vogel ausstrahlten. In diesem Augenblick kam sich Orris noch einmal vor wie der Schüler, der seine erste Versammlung erlebte. Und ein seltsamer und etwas beängstigender Gedanke zuckte ihm durch den Kopf: So sollte ein Eulenweiser aussehen. Dies alles nahm Orris in einem einzigen, Schwindel erregenden Augenblick wahr. Dann war er wieder er selbst und stand neben Baden und Trahn und sah zu, wie der Verräter Jessamyns Stab vom Stuhl nahm, so dass er ihren Platz am Tisch einnehmen konnte. Aber noch während dieses Augenblicks der Verwirrung hatte er auch etwas anderes bemerkt, das Schreckliches befürchten ließ und vollkommen deutlich machte, dass er und seine Begleiter sofort handeln mussten.
Die anderen Magier setzten sich wieder hin, und Odinan begann, die Anklagen aufzuzählen, die gegen Orris und seine beiden Begleiter erhoben wurden. Seine schrille, nasale Stimme hallte von der Kuppeldecke des Versammlungssaals wider. Orris allerdings musste immer wieder an das denken, was er gesehen hatte. Er hätte nicht sagen können, ob Trahn es ebenfalls bemerkt hatte, aber er wusste, dass es Baden nicht entgangen war, denn er hatte bemerkt, wie der
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