Die Chroniken von Amarid 03 - Das dunkle Herz von Lon Ser
antwortete mit einem leisen Ruf. Er kraulte ihr Kinn und flüsterte ihr etwas Beruhigendes zu, und dann überquerte er die Straße zur nächsten Gasse und ging weiter in die gleiche Richtung wie zuvor.
Bei Tagesanbruch, als das Morgenlicht ihm gestattete, sich zu orientieren, änderte er seine Marschrichtung ein wenig. Er war direkt nach Westen gegangen, und nun änderte er das Muster, dem er durch die kleineren Straßen folgte, so dass es ihn nach Nordwesten brachte. Er war nicht sicher, ob das wirklich die richtige Richtung war; er bewegte sich überwiegend nach Instinkt. Aber es war anzunehmen, dass er am schnellsten tief ins Nal hineinkam, wenn er sich in die dem Sumpf entgegengesetzte Richtung bewegte. Zumindest aber war es besser, als einfach irgendwo stehen zu bleiben.
Als der Himmel heller wurde, begegnete er mehr und mehr Menschen. Sie starrten ihn ganz offen neugierig an, einige riefen ihm sogar Worte in ihrer Sprache zu, aber er kümmerte sich nicht darum. Er hatte immer noch seine Macht; er konnte sich schützen. Und nun, da er begonnen hatte, die Struktur des Nal zu begreifen, kehrte sein Selbstvertrauen zurück. Gegen Mittag jedoch holte ihn die schlaflose Nacht ein. Er suchte eine der kleinen Türen, die zu den unterirdischen Gängen führten, fand dort eine dunkle Ecke und sank sofort in tiefen, traumlosen Schlaf.
Er erwachte mit heftig knurrendem Magen und aß seine letzten Vorräte, die er während der Durchquerung des Sumpfes schon streng rationiert hatte. Er würde bald etwas Neues finden müssen, aber zumindest im Augenblick war er satt. Als er wieder auf die Straße hinausging, stellte er erstaunt fest, dass es bereits dunkel war - er hatte keine Ahnung, wie lange er geschlafen hatte. Anizir übermittelte ihm ein Bild von den grauen Tauben und machte sich davon, um zu jagen. Orris brauchte nur ein paar Minuten, um sich wieder zu orientieren, und sobald der Falke zurückkam und gefressen hatte, machten sie sich auf den Weg, wobei sie sich abermals an die Gassen und engen Straßen hielten, die die breiteren Straßen miteinander verbanden. Sie zogen die ganze Nacht weiter, legten am Morgen des nächsten Tages eine Rast ein und tauchten in der Abenddämmerung wieder aus den unterirdischen Gängen auf.
Orris eilte mit grimmiger Entschlossenheit vorwärts. Er hatte immer noch nichts gegessen, und er dachte schon daran, ein kleines Feuer zu entzünden, um eine der grauen Tauben zu braten. Es war kein sonderlich reizvoller Gedanke - nicht nur, weil die Vögel dürr und wenig appetitanregend aussahen, sondern auch, weil er keine Aufmerksamkeit auf sich lenken wollte. Seine Verzweiflung wurde allerdings immer größer.
Er dachte immer noch über diese Möglichkeit nach, als er über eine weitere Hauptstraße eilte und die nächste Gasse betrat. Er hatte sich länger nicht mehr um die Nummern auf den Schildern gekümmert, und er dachte einen Augenblick daran, zurückzukehren und sich das letzte Schild anzusehen. Aber stattdessen beschloss er, das nächste besser zu beachten, und ging weiter.
Er hatte allerdings erst ein paar Schritte zurückgelegt, als plötzlich jemand direkt vor ihm aus dem Schatten gesprungen kam. Er war ein älterer, rundlicher Mann. Er trug einen dunklen Mantel über etwas, das einem Magierumhang ähnelte, und so verblüffend das auch war, er hatte einen Stab in der Hand, auf dem ein Ceryll angebracht war, der in der Farbe Orris' eigenem Kristall ähnelte. Er brüllte Orris hektisch an, aber der Magier verstand kein Wort. Einen Augenblick später jedoch erschienen zwei Männer ein paar Schritte hinter dem ersten, und sie waren beide bewaffnet. Orris richtete seinen Stab auf sie und wollte sie mit magischem Feuer überziehen, aber bevor er das tun konnte, stieß der ältere Mann wieder einen Warnschrei aus, und Orris hörte ein Geräusch hinter sich. Eine Falle, konnte er gerade noch denken, bevor rote Flammen aus den Waffen der Männer vor ihm schossen. Orris sprang vorwärts und riss den älteren Mann zu Boden. Gleichzeitig umgab er sich mit einer Rüstung aus schimmernder bernsteinfarbener Macht, die das Feuer der beiden Männer vor ihm abwehte, ebenso wie das des Angreifers hinter ihm.
Orris hörte die erstaunten Rufe seiner Gegner, und er nutzte die Gelegenheit und suchte Deckung hinter einer großen Metallkiste, die nach verfaulenden Essensresten roch. Er tastete im Geist nach Anizir, die über ihnen kreiste, und bat sie, sich auf den einzelnen Angreifer zu stürzen, der
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