Die Chroniken von Amarid 04 - Die Retterin des Landes
erfahren, ob er all das bemerkt hatte, und war entsetzt über seine Miene. Es war, als starrte Orris einen Geist an. Er war bleich geworden, und seine Augen waren beinahe so groß und glasig wie die des Fremden. Und der Fremde schien sich noch mehr aufzuregen. Seine Hände zitterten und er fletschte die Zähne, als wollte er den Zauberer anknurren. Aber erst als Orris den Namen des Mannes nannte, begriff Melyor, welche Gefahr er darstellte.
»Baram«, sagte sie zu sich selbst, nachdem Orris den Namen genannt hatte. Sie bemerkte erst, dass sie laut gesprochen hatte, als der Fremde sie ansah.
»Ja«, erklärte Cedrych, »das hier ist Baram. Er ist ein Freund von mir. Baram, das ist Melyor. Ich glaube, du kennst Dob und Orris schon.«
Baram warf ihr einen zweiten flüchtigen Blick zu, nur lange genug, um zu zeigen, dass er Cedrych verstanden hatte. Er schien Orris nur ungern aus den Augen zu lassen. Selbstverständlich, dachte Melyor. Baram. Orris hatte den Namen nur einmal erwähnt, aber sie erkannte den Fremden anhand der Beschreibung des Zauberers. Das hier war der Gefangene, den Orris mit nach Lon-Ser gebracht hatte, damit er ihm als Führer diente und als Beweis dessen, was Cedrych seinem Land angetan hatte. Irgendwie hatte Cedrych sich mit ihm angefreundet. Und irgendwie hatte das Schicksal oder eine Laune der Götter Baram zur gleichen Zeit wie Orris wieder in die Wohnung des Oberlords geführt. »Ein wunderbarer Zufall«, hatte Cedrych es zuvor genannt. Wohl kaum, dachte Melyor bitter. Und dennoch, sie fand auch eine gewisse Genugtuung in der Verwirrung des Oberlords, wenn auch nicht viel: Zumindest hatte Cedrych diese Begegnung nicht geplant. Zumindest hatte er nicht genug gewusst, um Baram hier für sie bereitzuhalten. Am Ende würde er sie durch pures Glück besiegen können. Cedrych ging wieder zum Tisch, und Melyor warf Orris einen Blick zu. Der Zauberer sah sie bereits an und schüttelte grimmig den Kopf. Sie wussten beide, was nun geschehen würde. »Komm doch bitte einen Augenblick her, Baram«, sagte der Oberlord und winkte dem Mann. »Ich möchte, dass du dir etwas ansiehst.«
Baram blieb reglos stehen und ließ Orris nicht aus den Augen.
Cedrych blickte auf und lachte leise. »Schon gut, Baram. Ich verspreche dir, dass er nicht verschwinden wird.« Baram starrte weiterhin den Zauberer an, bevor er sich schließlich mit sichtlicher und offenbar schmerzhafter Anstrengung von der Stelle losriss, an der er gestanden hatte. Er schlurfte zu dem Tisch, an dem Cedrych stand, und schaute dabei noch mehrmals über die Schulter, als wollte er sich versichern, dass Orris nicht zu fliehen versuchte. »Erkennst du einen davon?«, fragte der Oberlord und zeigte auf die Stäbe und die leuchtenden Steine.
Baram setzte sofort dazu an, auf einen von ihnen zu zeigen, aber dann hielt er inne und beugte sich über den Tisch, um genauer hinzusehen. Minutenlang sagte er nichts, aber er unterbrach seine Untersuchung der Stäbe immer wieder, um nachzuschauen, ob Orris noch da war.
»Ich kenne diesen Stein«, sagte er schließlich, zeigte auf den bernsteinfarbenen Kristall und drehte sich dann um, um Orris einen bösen Blick zuzuwerfen, »aber er gehört nicht auf diesen Stock.«
Cedrych grinste triumphierend. »Danke, Baram. Das dachte ich auch, aber ich bin froh, dass du es bestätigen konntest.« Er schaute an dem Mann vorbei zu Orris und Melyor und hielt Gwilyms alten Stab hoch, so dass Orris' Kristall über seinem Kopf wie ein bernsteinfarbener Stern leuchtete. »Ein interessanter Trick«, sagte er in Tobynmir, damit der Zauberer ihn verstehen konnte. »Aber ich muss mich wirklich fragen, wieso ihr euch solche Mühe gebt, mich zu täuschen, wenn Orris' Vogel tatsächlich tot ist.« Sein Grinsen verschwand abrupt, und er sah Melyor und Orris mit zornig blitzendem Auge an. »Wo ist dein Vogel?«, fragte er barsch. »Wo ist dein Vogel?«
»Sie ist nicht hier«, antwortete Orris trotzig. »Wenn das der Fall wäre, hätte ich dich längst getötet.«
»Ist sie tot?«
Orris zögerte, was ihm einen weiteren bösen Blick des Oberlords einbrachte.
»Nein, das ist sie nicht!«, beantwortete Cedrych seine eigene Frage. »Deine Unsicherheit verrät dich, Magier!« Immer noch schwieg Orris. Und als Melyor nun den Zauberer näher ansah, verstand sie, warum. Er spürte seinen Falken. Anizir war auf dem Weg, und er versuchte, eine Verbindung zu ihr herzustellen, zu ihr und zu dem Stein auf dem Stab, den der Oberlord immer noch
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