Die Chroniken von Amarid 04 - Die Retterin des Landes
der Zauberer!«, drängte er. »Er ist immer noch da drin! Er ist allein!«
»Es geht ihm gut!«, fauchte sie.
Gwilym starrte sie einen Augenblick lang an, und seine Wangen färbten sich rot. Schließlich drehte er sich abrupt um und ging davon.
Melyor holte tief Luft. Das hatte der Mann wirklich nicht verdient. Sie dachte kurz daran, ihm zu folgen und sich zu entschuldigen, aber sie blieb, wo sie war. Es gab nichts, was sie ihm sagen konnte. Sie hatte nicht einmal das Recht, ihm den Trost zu geben, den sie schon zu geben versucht hatte. Sie war nicht sicher, dass es dem Zauberer gut ging. Es war durchaus möglich, dass Cedrych sie weggeschickt hatte, weil er Orris persönlich umbringen wollte.
Aber im nächsten Augenblick schüttelte sie den Kopf. Orris, so hatte sie an diesem Tag begriffen, war durchaus in der Lage, auf sich aufzupassen. Und außerdem arbeitete Cedrych nicht auf diese Weise. Sie schloss die Augen und hoffte, diese Erkenntnis würde sie beruhigen, aber sie wusste es besser. Sie zitterte nicht, weil sie Angst hatte, dass Orris sterben würde.
Und sie hatte auch keine Angst vor dem, was sie in Cedrychs Blick gesehen hatte, bevor er sie wegschickte, obwohl sie wusste, dass Angst in diesem Fall mehr als gerechtfertigt war. Er war wütend auf sie, wütend genug, sie umbringen zu lassen. Aber selbst das erklärte nicht ihren rasenden Pulsschlag und die Kälte, die durch ihre Adern lief.
Sie zitterte, weil sie in den kurzen Momenten, als sie in Cedrychs Wohnung gewesen war und zugehört hatte, wie der Oberlord und der Zauberer ihren kleinen Kampf der Worte führten, etwas so Verblüffendes begriffen hatte, etwas so Überwältigendes, dass sie fürchtete, ihr könnte übel werden. Und dennoch wusste sie, dass es wahr war, so sicher, wie ihr Name Melyor i Lakin lautete.
Sie wollte, dass der Zauberer Erfolg hatte. Wenn er Frieden wollte, dann wollte sie das auch. Wenn er hergekommen war, um ganz Bragor-Nal zu zerstören, dann würde sie ihm dabei helfen.
Sie verstand es selbst nicht. Sie hatte Jahre damit verbracht, sich den Wohlstand und die Macht zu wünschen, die die Tobyn-Ser-Initiative ihr bringen würde; sie hatte öfter, als ihr lieb war, ihr eigenes Leben aufs Spiel gesetzt und das Leben anderer genommen. Sie wollte eines Tages Oberlord sein, vielleicht sogar Herrscherin. Das war ihr Traum gewesen, ihr einziger Ehrgeiz in diesem Leben. Aber als sie dort mit Orris und Cedrych am Tisch gesessen hatte, hatte sie die Erinnerung an einen anderen Traum beschäftigt. Sie und der Zauberer waren vom Schicksal dazu ausersehen, Verbündete zu sein. Sie hatte es in einer Vision gesehen. Seitdem hatte sie angenommen, dass etwas geschehen würde, das diese Allianz notwenig machen würde. Aber sie hätte nie geglaubt, dass sie sich freiwillig mit dem Magier zusammentun würde.
Ich bin ein Nal-Lord!, tobte sie lautlos gegen sich selbst. Ich werde Tobyn-Ser erobern!
Und wie zur Antwort hörte sie eine andere Stimme in ihrem Kopf, eine, die vielleicht von ihrer Mutter kam. Du bist Gildriitin, sagte diese Stimme. Es wird Zeit, dass du das akzeptierst.
Sie hatte ihre Visionen seit Jahren benutzt, um im Nal weiterzukommen, genau so, wie sie ihre Fähigkeiten mit einem Werfer oder einer Klinge eingesetzt hatte. Erst vor ein paar Tagen hatte sie ihre Abstammung genutzt, um sich das Vertrauen des Steinträgers zu erwerben. Und seit ihrer Begegnung mit Mink hatte sie ihr Geheimnis mit jedem ihrer Opfer geteilt, bevor sie gestorben waren. Es akzeptieren?, wollte sie widersprechen. Ich akzeptiere es seit Jahren. Aber sie wusste, dass das nicht stimmte. Es war eine Sache, ihre Fähigkeiten zu benutzen. Aber als sie an diesem Abend gesehen hatte, mit welcher Leichtigkeit Orris die Fragen und Drohungen des Oberlords parierte, hatte sie sich so unerklärlich stolz gefühlt, als wäre sein Triumph auch der ihre. Indem er sich gegen Cedrych wehrte, indem er sich einfach weigerte, sich von diesem Mann einschüchtern zu lassen, der bisher jeden in Bragor-Nal eingeschüchtert hatte, führte Orris einen Schlag im Namen aller, in deren Adern Gildris Blut floss. Zum ersten Mal seit langer Zeit betrachtete sich Melyor nicht in erster Linie als Nal-Lord. Sie war Gildriitin, und sie wollte, dass Orris es wusste. Er sollte verstehen, dass sie in diesem Augenblick seine Sache zu ihrer gemacht hatte. Also hatte sie ihn angelächelt und gehofft, dass dieses Lächeln ihm alles mitteilen würde, was sie sagen wollte. Sie war nicht
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