Die Chroniken von Amarid 04 - Die Retterin des Landes
zu Shivohns Palast zu gelangen. »Ich hätte nie auf sie hören sollen«, murmelte sie leise.
Sie brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass sie die Sprache des Zauberers benutzt hatte.
Es war beinahe Morgen. Sie konnte sehen, wie das erste silbrig graue Morgenlicht durch das vergitterte Fenster oben in der Wand fiel. Sie hatte nun fünf oder sechs Stunden hier gelegen, war aber zu aufgeregt gewesen, um schlafen zu können. Sie wusste, dass Klinge, falls er ihnen immer noch folgte, sie hier nicht erreichen konnte, aber sobald er erfuhr, dass man sie gefangen genommen hatte, würde er sie leicht finden können. Und wenn man sie entließ, gab es keine Garantie dafür, dass sie ihren Werfer oder den Dolch zurückbekommen oder dass man dem Steinträger und Orris ihre Stäbe zurückgeben würde. Und in diesem Fall wären sie für die Attentäter leichte Beute. Wieder einmal brachten die Gedanken an Klinge und seine Männer auch Angst um Jibbs Sicherheit mit sich. Sie kannte Cedrych; sie wusste, wie er vorging. Wenn er es gewesen war, der die Attentäter auf sie gehetzt hatte - und wer sonst sollte so etwas tun? -, dann würde er auch Jibb jagen. Sie zu töten und ihren Leibwächter und Freund am Leben zu lassen war viel zu gefährlich. War Jibb tot?, fragte sie sich, während sie zu dem kleinen Fenster hinaufstarrte. Hatte man ihn aus dem Vierten vertrieben? Sie schüttelte den Kopf. Sie konnte nichts für ihn tun. Sie war nicht einmal sicher, ob sie noch etwas für sich oder ihre Begleiter tun konnte. Aber das war es, worum sie sich Sorgen machen sollte. Sie zwang sich, den Gedanken an Jibb wegzuschieben, und versuchte sich stattdessen auf ihre Situation zu konzentrieren.
Sie musste einen Weg finden, die Gefängniswärter davon zu überzeugen, dass sie und ihre Begleiter mit Shivohn oder zumindest mit einer der Untergebenen der Herrscherin sprechen mussten - Legatinnen hießen sie hier in Oerella- Nal. Aber sie hatte den größten Teil der Nacht nicht einmal einen Wärter zu sehen bekommen, nicht seit dieser untersetzte Mann ihr das Essen gebracht hatte. Sie hatte hier und da gehört, wie Stahltore geöffnet oder geschlossen wurden, und sie hatte das Schluchzen einer Frau gehört - eine Gefangene, nahm Melyor an - und das Würgen einer anderen. Aber diese Geräusche waren aus relativ weiter Entfernung gekommen. Soweit sie es beurteilen konnte, war sie die Einzige in diesem Teil des Gefängnisses.
Melyor lag noch ein oder zwei Stunden auf der Pritsche und sah zu, wie es vor dem Zellenfenster heller wurde, dann hörte sie, wie in der Nähe ein Stahltor geöffnet wurde und sich Schritte von zwei Personen näherten.
Frühstück, dachte sie und setzte sich auf.
Aber es waren keine Gefängniswärter, sondern zwei Mitglieder von Shivohns Sicherheitskräften in ihren adretten scharlachroten Uniformen, und sie brachten kein Essen. »Komm mit, du wirst gebraucht«, sagte einer, und sie konnte ihn nur schwer verstehen, weil er diesen seltsamen Oerella-Akzent hatte.
Melyor sah ihn misstrauisch an. »Wozu?«
»Wir können einen deiner Freunde nicht verstehen - den mit diesem bösartigen Vogel.«
Melyor hatte von einem Mann zum anderen geschaut und kaum darauf geachtet, wie sie aussahen. Tatsächlich waren sie den großen, kräftigen Gardisten, die sie in Cedrychs Hauptquartier gesehen hatte, sehr ähnlich und damit irgendwie austauschbar. Aber als einer der Männer Orris' Falken erwähnte, bemerkte sie, dass er einen frischen, hässlichen Kratzer an der Schläfe hatte. Sie verkniff sich ein Lachen.
»Er scheint uns auch nicht zu verstehen«, fuhr der Sicherheitsmann fort, »und wir wollen, dass er seinen Vogel zurückpfeift, oder wir müssen das Vieh töten.«
Melyor stand auf. »Das dürft ihr nicht.«
Der zweite kniff die Augen zusammen. »Warum nicht?«, fragte er.
»Weil er ein Zauberer aus Tobyn-Ser ist«, sagte sie. »Und«, fuhr sie fort, und sie wusste, dass sie damit ein großes Risiko einging, »weil er ein Gast von Herrscherin Shivohn ist. Wir alle sind ihre Gäste.«
Sie sahen sie skeptisch an. »Wenn ihr Gäste der Herrscherin seid, warum versteckt ihr euch dann in den Tunneln?«, wollte der zweite Mann wissen.
»Wir sind heimlich aus Bragor-Nal geflohen und haben die Berge überquert, um hierher zu kommen, aber ich glaube, dass uns Attentäter auf den Fersen waren. Wir haben uns vor ihnen versteckt.«
»Ich glaube dir kein Wort«, sagte der erste.
Melyor schluckte. Sie hätte eine solche Geschichte
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