Die Chroniken von Amarid 06 - Der Friede von Lon-Tobyn
was konnte sie tun? »Ja. Ich werde dir helfen.«
Er lächelte. »Danke«, sagte er und trat vor, um Alaynas Brief vom Bett zu nehmen. Dann ging er wieder zur Tür. »Ich muss mich auf den Weg machen. Ich sollte so schnell wie möglich an die anderen Hüter schreiben.« Er blieb in der Tür stehen, und seine Miene war beinahe freundlich. »Ruh dich gut aus, Linnea. Arick behüte dich.«
Sie nickte und er begann, die Tür hinter sich zuzuziehen. »Brevyl«, rief sie.
Er steckte den Kopf noch einmal ins Zimmer und wartete. »Ältester«, verbesserte sie sich. »Ich hätte nie sagen dürfen, dass du dem Tempel Schande bereitest. Das war falsch von mir.«
Er sah sie einen Augenblick an, als wüsste er nicht, was sie nun von ihm erwartete. »Danke«, murmelte er schließlich. Dann schloss er die Tür, und Linnea hörte, wie seine Schritte auf dem Hof leiser wurden.
Sie schloss abermals die Augen, ließ sich in die Kissen sinken und seufzte tief. Sie war so müde. Cailin hätte das nie verstanden, aber sie war wirklich bereit zu sterben. Es sah allerdings so aus, als ob die Götter noch nicht mit ihr fertig wären.
Sie waren seit zwei Tagen und zwei Nächten bei ihm gewesen, verschwanden mit der Morgendämmerung und kehrten in der Abenddämmerung zurück, um wie leuchtende Statuen vor ihm zu stehen. Es war ihm gelungen, Therons Fluch genügend zu verändern, um sie in die Große Halle zu bringen, aber damit er sie benutzen konnte, wie er vorhatte, musste er den Rufstein noch besser beherrschen lernen. Also ergoss er seine Macht in den riesigen Kristall, während die Geister auf ihn warteten und sich zweifellos fragten, warum er sie in die Große Halle gebracht hatte und was er mit ihnen vorhatte. Theron, der bei allem ihr Anführer war, stellte ihm pausenlos Fragen, zunächst durch die lautlose Kommunikation der Unbehausten, und als Sartol darauf nicht antwortete, in den Worten der lebendigen Welt. Nach dem ersten Tag war der Eulenmeister dessen müde geworden, und Phelan hatte weitergemacht. Aber Sartol reagierte immer noch nicht. Er hielt es nicht für notwendig, und er hatte wichtigere Dinge zu tun. Mehr als das jedoch weidete er sich insgeheim daran, sie warten zu sehen, sie seinem Schweigen und ihrer unbehaglichen Neugier zu überlassen. Sie hatten ihm so viele Jahre das Gleiche angetan. Er ließ sie einfach aus dem Grund warten, weil er es sich leisten konnte. Und er wollte, dass sie das verstanden.
Am dritten Abend jedoch war er bereit.
Theron sprach abermals, fragte ihn scheinbar zum tausendsten Mal, was er von ihnen wollte, und er klang gelangweilt und besiegt, als erwartete er keine Antwort mehr. Als Sartol sich ihm also zuwandte, als er sich ihnen allen zuwandte, war Theron regelrecht schockiert.
»Willst du wirklich eine Antwort?«, fragte Sartol laut mit Tammens Stimme und verweigerte Theron dadurch den Zugang zu seinen Gedanken. »Willst du wirklich wissen, was ich mit euch vorhabe?«
»Wir fragen dich das seit Tagen«, antwortete der Eulenmeister, der sich rasch erholt hatte. »Selbstverständlich wollen wir es wissen.«
Sartol sah die anderen an. »Und was ist mit euch? Seid ihr bereit, euer Schicksal zu vernehmen?«
Keiner von ihnen sagte etwas, sie überließen es Theron. »Hört doch auf, zu ihm aufzublicken«, sagte Sartol. »Er ist ein Nichts. Von diesem Tag an werde ich euch beherrschen, und das schließt auch Theron ein.«
Der Eulenmeister zog eine Braue hoch. »Ach wirklich? Und was hast du mit einem Haufen Geister vor?«
»Du sprichst von einer Armee von Geistern.«
Theron öffnete den Mund, und Sartol spürte Tammens Gesicht grinsen. Er hatte so lange auf diesen Augenblick gewartet!
»Ja, Theron. Ihr gehört jetzt mir - ihr alle - und ich werde euch benutzen, um das Land zu erobern. Und wenn ich damit fertig bin, werde ich stark genug sein, euch über Aricks Meer zu schicken, damit ihr auch Lon-Ser für mich erobern könnt. Findest du nicht auch, dass eine gewisse Ironie darin liegt, dass wir am Ende die Invasoren sein werden und die Fremden die hilflosen Opfer?«
»Ich glaube es einfach nicht«, sagte der Eulenmeister leise. »Der Fluch gestattet so etwas nicht.« »Der Fluch?« Sartol lachte. »Der Fluch gehört jetzt mir. Er gestattet mir zu tun, was ich will. Und ich habe beschlossen, dass die Unbehausten mir helfen werden, das Land zu beherrschen.«
»Es wird nicht funktionieren.«
»Selbstverständlich wird es das. Es ist perfekt. Eine Armee, die nicht sterben kann, die
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