Die Chroniken von Amarid 06 - Der Friede von Lon-Tobyn
müssen.
Rhonwen spürte, wie sie wieder begann zu gehen, und sie konnte überhaupt nichts dagegen tun. Sie wusste, dass die anderen zusahen, die Szene durch ihre Augen sahen, und dieses Wissen machte alles noch viel schlimmer. Ebenso wie nun zu begreifen, wohin sie unterwegs waren. Er schickte sie nach Westen zu dem Dorf, aus dem sie stammte und in dem ihre Mutter immer noch lebte.
»Ich kann sie verschonen, wenn du willst«, flüsterte Sartol ihr zu wie ein Geliebter. »Ich werde es für dich tun, aber du musst mich darum bitten.«
Alles. Er nahm ihr alles, ebenso wie er es den anderen genommen hatte, ebenso wie der Frau, deren Körper er benutzte. Und genau das hatte er mit dem ganzen Land vor. Und was konnte sie anders tun als flehen?
Ja, bitte, sandte sie und spürte, wie ihr Tränen über die Wangen liefen. Bitte töte sie nicht.
Wieder lachte er, und Rhonwen fragte sich, ob er tatsächlich vorhatte, ihre Mutter zu verschonen, oder ob dies nur ein weiteres grausames Spiel war.
Sie sah die kleinen Häuser vor sich, und sie kämpfte gegen ihn an, versuchte stehen zu bleiben, versuchte sich zu Boden zu werfen. Sartols Lachen hallte in ihrem Geist wider. Als sie die ersten Häuser erreichte, spürte sie, wie sie den Stab hob. Sie versuchte die Augen zu schließen, aber nicht einmal das erlaubte er ihr.
»Denk doch an die anderen«, sagte er. »Sie werden das sehen wollen.«
Sie spürte, wie die Macht durch ihren Körper zog wie Wind durch Baumäste. Es war ein Gefühl, das sie seit ihrem Tod nicht mehr erfahren hatte, und einen winzigen Augenblick lang genoss sie es. Aber als die hellgrüne Feuerkugel aus ihrem Stab in die Mauern des ersten Hauses krachte und den Boden erbeben ließ und die entsetzten Schreie der Menschen im Haus erklangen, schämte sie sich. Hat sich Phelan auch so gefühlt?, wollte sie fragen. Und die anderen?
»Nein«, sagte Sartol und lachte erneut. »Du bist die Einzige.«
Sie ging weiter und zerstörte Haus um Haus. Als die Menschen aus den brennenden Gebäuden flohen und im Laufen Blicke zurückwarfen, die Gesichter vor Angst und Trauer verzerrt, schleuderte sie auch nach ihnen Feuer. Sie erkannte einige von ihnen. Und sie wusste, dass alle sie erkannten. Einige flehten, einige schrien ihr schreckliche Dinge entgegen. Und wer konnte es ihnen schon übel nehmen? Was immer sie von ihr hielten, war nichts verglichen mit dem, was sie in diesem Augenblick von sich selbst dachte.
»Du machst das sehr gut.«
Lass mich in Ruhe!, sagte sie ganz leise zu ihm. Sprich nicht mehr mit mir!
»Aber ich bin so erfreut über die Arbeit, die du für mich leistest. Es stört dich doch sicherlich nicht, dass ich dich lobe.«
Sie versuchte ihren Geist abzuschließen, seine Stimme nicht mehr zu hören, selbst wenn sie sich seinem Willen nicht entziehen konnte. Aber er verspottete sie weiter, ebenso wie sie weiter das Dorf angriff.
Bis sie zum Haus ihrer Mutter kam, wussten bereits alle im Dorf von ihrer Gegenwart. Der Himmel glühte feurig, und die Alarmglocken am Versammlungshaus und an Aricks Tempel begannen zu läuten. Ihre Mutter stand vor dem Haus, aber anders als die anderen, die entsetzt vor ihr flohen, blieb sie einfach mitten auf der Straße stehen und starrte sie an. Tränen liefen über ihre Wangen, und ihr graues Haar hing ihr offen auf die Schultern.
»Warum, Rhonwen?«, fragte sie mit bebender Stimme. Er zwingt mich dazu, Mama. Es tut mir so Leid.
»Weil du mich nie besucht hast, Mutter«, zwang er sie zu sagen. »Weil ich all diese Jahre allein war, und du bist nie zu mir gekommen, um mit mir zu sprechen. Nicht ein einziges Mal.«
Das war die Wahrheit: Rhonwens Mutter war nie zu ihrem Bindungsort gekommen. Irgendwie hatte Sartol das in ihren Gedanken gelesen. Rhonwen hatte die Entscheidung allerdings verstanden. Sie war so kurz nach dem Tod ihres Vaters gestorben. Es war für ihre Mutter einfach zu viel gewesen.
»Ich wollte kommen, Rhonwen. Ich wollte es wirklich. Aber das ist doch sicher kein Grund ...«Ihr Mutter zeigte auf die Flammen und auf die Leichen. »Kein Grund dafür.« Selbstverständlich nicht, Mama. Hör nicht auf ihn. Hör nicht auf mich.
»Mehr Grund brauche ich nicht.«
Rhonwen weinte nun wieder, und sie hoffte, ihre Mutter würde ihre Tränen sehen und sie verstehen.
Sartol zwang sie erneut, den Stab zu heben und damit auf das Herz ihrer Mutter zu zielen.
Du hast es versprochen!, schrie sie im Geist.
Und im letzten Augenblick ließ Sartol sie den Stab zur
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