Die Chroniken von Amarid 06 - Der Friede von Lon-Tobyn
erwartete nicht, dass Kovet versuchen würde, ihn anzugreifen, aber er bemerkte, dass er seinen Stab fester in der Hand hielt als zuvor. »Ich nehme an, ich bin dir Dank schuldig«, sagte der Magier, nachdem er vor ihm stehen geblieben war.
Orris spürte, wie Jaryd Luft holte.
»Du schuldest ihm erheblich mehr.«
Kovet sah erst den Adlerweisen und dann Rithlar an. »Das mag sein«, gab er leise zu. Dann wandte er den Blick ab, als wollte er Orris nicht ansehen. »Es hat viel Mut gebraucht, noch einmal da raufzugehen und mich zu holen.«
»Mut oder Dummheit.«
Nun sah der Magier Orris kurz an, und seine Miene wurde härter. Aber dann bemerkte er, dass Orris grinste, und einen Augenblick später lächelte er ebenfalls. »Ja«, stimmte er zu, »das eine oder das andere.«
»Was hieltest du davon, wenn wir davon ausgehen, dass es beides ist?«, sagte Orris. »Man könnte ohnehin viel von dem, was ich in den letzten Jahren getan habe, auf beides zurückführen. Und dennoch, ich glaube, die meisten wären der Ansicht, dass etwas Gutes daraus entstanden ist.« Kovet begriff offenbar, was er meinte. Er nickte bedächtig, als müsste er seine Worte abwägen. »Mag sein«, sagte er schließlich. »Ich werde daran denken.«
Orris nickte. »Das wäre nett von dir.«
Sie schauten einander noch einen Augenblick an, dann wandte Kovet sich ab und ging davon, auf die Halle der Liga zu.
Orris sah ihm hinterher und fragte sich, ob damit seine
Fehde mit der Liga endlich vorüber war. Kryssan schmiegte sich wieder an ihn, und er kraulte ihr das Kinn.
»Kommt«, sagte Jaryd leise. »Gehen wir.«
Die Magier hatten allerdings kaum ein paar Schritte zurückgelegt, als eine der Dienerinnen der Halle auf sie zukam. Sie rannte und hatte die Augen entsetzt aufgerissen. Als sie Jaryd und Alayna entdeckte, blieb sie stehen. »In der Großen Halle ist etwas passiert!«, sagte sie. »Beeilt euch!«
Ohne zu zögern, folgten die Magier der Frau im Laufschritt zur Halle zurück. Jaryd und Alayna waren ein Stück vor den anderen, Jaryds Adler und Alaynas große Eule flogen über ihnen her.
Als sie schließlich um die Ecke bogen und die Halle vor sich sahen, war Orris nicht sicher, wie er diesen Anblick deuten sollte. Viele Diener der Halle - beinahe ein Dutzend, alle in ihren blauen Gewändern - standen auf der Straße. Jaryd und Alayna eilten vorwärts, und Orris sah, dass auch Myn dort draußen stand, zwischen zwei Frauen. Baden, Orris und Trahn erreichten die Halle ein paar Sekunden später. »... eine Frau«, hörte Orris eine Dienerin sagen, als er neben Jaryd und Alayna stehen blieb. »Dieselbe, die gestern zu euch gekommen ist. Sie hat gedroht, uns alle umzubringen, wenn wir nicht sofort gingen. Ich habe nicht geglaubt, dass sie es tun könnte, denn sie hatte keinen Vogel dabei. Aber dann hat sie Feuer aus ihrem Stein aufblitzen lassen, und ich habe alle so schnell wie möglich rausgebracht.«
»Das war ganz richtig, Basya«, sagte Alayna. Sie hatte Myn hochgehoben und hielt ihre Tochter nun so fest, als wollte sie sie nie wieder loslassen. »Danke.«
»Es sieht so aus, als wäre Tammen doch für das Feuer verantwortlich«, sagte Jaryd mit einem kurzen Blick zu Baden, Trahn und Orris. »Aber ich verstehe nicht, wie sie das alles ohne einen Vogel tun konnte.«
»Da ist noch etwas, Adlerweiser«, sagte die Dienerin und klang nun erheblich unsicherer. »Das Feuer, das aus ihrem Stein kam, sah seltsam aus. Es war anders als alles, was ich je zuvor gesehen habe.«
Alayna starrte die Frau an. Sie war plötzlich kreidebleich geworden. »Wie sah es aus?«
Die Dienerin zögerte. »Es schien verschiedene Schichten zu haben: blau und dann gelb und dann wieder blau.« »Aber selbstverständlich«, sagte Alayna und nickte, als hätte sie schon gewusst, was Basya sagen würde. »Selbstverständlich.«
Orris schüttelte den Kopf. »Was? Ich verstehe nicht.« Jaryd nickte nun ebenfalls. »Es ist Sartol«, murmelte er und wandte sich der Halle zu. »Es war sie, von der ich damals geträumt habe. Ich hätte sie wiedererkennen sollen.« »Was redest du da?«, fragte Orris
Der Adlerweise schüttelte den Kopf, als versuchte er, einen klaren Gedanken zu fassen. »Das ist unwichtig. Sartol ist hier; das ist alles, was zählt. Irgendwie hat er Tammen benutzt, um seinem Bindungsort zu entkommen und hierher zu gelangen.«
»Aber wie ist das möglich?«
»Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass er in der Großen Halle ist, und dort ist er mit dem
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