Die Chroniken von Amarid 06 - Der Friede von Lon-Tobyn
ärgerlicher kleiner Mann namens Marar, als auch die Position dieses Nal in Lon-Ser verglichen mit meinem oder Shivohns Nal ausgesprochen unbedeutend sind. Stib-Nal ist kaum mehr als ein Überrest der Festigungszeit, eine kleine Kopie von Bragor- Nal, die Dalrek, Herrscher von Bragor-Nal, am Ende des Bürgerkrieges nur deshalb weiterexistieren ließ, weil ihm das eine zweite entscheidende Stimme im Herrscherrat verschaffte. Solange Bragor-Nal und Oerella-Nal Rivalen waren, verließen sich meine Vorgänger auf die Unterstützung durch Stib-Nal, aber nun, nachdem Shivohn und ich uns miteinander verbündet haben, hat Marar selbst diesen geringen Einfluss verloren.
Zu einer anderen Zeit, aber unter ähnlichen Umständen, wäre Stib-Nal von Bragor-Nal verschluckt worden. Sein Land wäre Teil unseres Territoriums geworden, seine Armee und seine Wirtschaft würden unsere stützen. Aber Shivohn und ich haben uns verpflichtet, uns nicht mehr so zu verhalten wie unsere Vorgänger. Es sei denn, Marar oder einer seiner Nachfolger sollte etwas wirklich Dummes tun, aber bis dahin wird Stib- Nal bleiben, was es heute ist: winzig und schwach, aber sicher.
Melyor i Lakin, Herrscherin und Steinträgerin von Bragor- Nal, an Falkenmagier Orris, Tag 1, Woche 7, Winter 3067
Maus hatte seit ihrer Auseinandersetzung im Vorgebirge kein Wort mehr gesagt. Sie hatte Melyor kaum angeschaut. Melyor war weiterhin überzeugt, dass die Gildriitin sie und Jibbs Männer an den richtigen Ort fuhren würde - ihr blieb wohl kaum eine andere Wahl -, aber es widerstrebte ihr, Maus auch nur zu fragen, wie lange es noch dauern würde. Sie glaubte immer noch, dass sie und Maus viel gemeinsam hatten, dass Maus ein Spiegelbild ihrer selbst in ihrer Jugend war. Aber das machte es noch schwieriger, die Ablehnung der Frau zu ertragen. Hatte sie wirklich ihrem gildriitischen Erbe derart den Rücken gekehrt? Im Grunde hatte sie das selbst geglaubt, bis zu dem Tag, als Gwilym ihr den Stab überreichte - eine Geste der Vergebung und der unendlichen Freundlichkeit eines Sterbenden. Der Steinträger hatte ihr verziehen, und damit hatte er sie gezwungen, sich selbst zu verzeihen.
Aber es hatte immer einen Rest von Zweifel gegeben, ein Gefühl, das tief in ihrem Geist vergraben war, dass sie Gwilyms Geschenk nicht verdient hatte. Das Netzwerk von Bragor-Nal hatte diesen Zweifel in den Jahren, seit sie Herrscherin geworden war, genährt, indem es sich weigerte, sie als Verbündete zu betrachten. Du hältst dich vielleicht für eine von uns, hatten sie ihr damit gesagt, aber wir tun das nicht. Es war so ziemlich die gleiche Botschaft, die auch Maus ihr am Vortag so barsch gegeben hatte. »Ich tue das hier für meine Leute«, hatte sie gesagt, »und nicht für dich.«
Am liebsten hätte Melyor den Stab über den Kopf gehoben und Feuer aus dem Stein brechen lassen, wie sie es Orris hatte tun sehen. Sie wollte den Stab vor sich ausstrecken, direkt vor Maus' Gesicht.
»Sieh dir das an!«, wollte sie schreien. »Ich bin Steinträgerin! Wenn mich das nicht zu einer von euch macht, was dann?« Aber sie konnte nur zusehen, wie Maus davonging, denn es war diese Frau, die nun Melyors Stein hatte. Und Melyor war unwillkürlich der Ansicht, dass Maus ihn mehr verdiente als sie selbst.
Maus gab ihr den Stab am Abend, wenn sie ihr Lager aufschlugen, zurück. Selbstverständlich tat sie das schweigend. An den meisten Abenden sahen sie einander nicht einmal an. Aber Maus gab den Stab stets zurück. Und an jedem Morgen, wenn Melyor nach ihren Krücken griff, nahm die junge Gildriitin wieder den Stab, als glaubte auch sie, einen Anspruch darauf zu haben.
Am sechsten Tag, nachdem sie aus Bragor-Nal aufgebrochen waren, erspähten Melyor und ihre Leute zum ersten Mal den Stib-Hain, das kleine Gehölz, das Marars Nal von den Grünwasserbergen trennte. Jedes Nal hatte einen solchen kleinen Wald. Es war einer der Hauptpunkte des Grünen Abkommens von 2899, eines komplizierten Vertrages, der von den Herrschern aller drei Nals unterschrieben worden war und in dem alle stillschweigend anerkannt hatten, dass die Nals bei der Zerstörung ihrer Wälder des Guten zu viel getan hatten. Also verlangte ein Punkt des Abkommens, dass jedes Nal einen kleinen Wald anpflanzte, der nicht abgeholzt werden durfte und dessen Größe im Verhältnis zu der Größe des Nal und dessen Bevölkerung stand. Daher hätte theoretisch der Bragoriwald der größte der drei sein sollen, gefolgt vom Oerellawald und
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