Die Chroniken von Araluen - Der große Heiler: Band 9 (German Edition)
fragte er dann.
Seufzend tat Will dann so, als halte er nach ihm Ausschau und dachte, dass sein Freund, einer der berühmtesten Ritter im Königreich von Araluen, gefürchtet und respektiert auf jedem Schlachtfeld, sich jetzt wie ein großes Kind mit einem neuen Spielzeug benahm.
»Ich kann dich gerade noch erkennen«, sagte er dann durch zusammengebissene Zähne. Daraufhin ritt Horace meist wieder ein Stück weiter und wiederholte die Übung.
»Wie ist es jetzt?«, fragte er erwartungsvoll.
Will seufzte. Wenn er Horace nicht die erhoffte Antwort gab, müsste er dieses Spiel noch mindestens ein halbes Dutzend Mal weiter spielen. Daher nickte er und tat ganz erstaunt.
»Das ist phänomenal«, sagte er. »Wenn ich nicht gewusst hätte, dass du da bist…« Er machte eine Pause und überlegte, wie er den Satz beenden sollte, und schloss dann ziemlich lahm: »Hätte ich nicht gemerkt, dass du da bist.«
Kurz vor Einbruch der Dämmerung war Will bemüht, noch einmal genau die Spuren zu lesen, denen sie folgten. Auch wenn er sich eigentlich sicher fühlte, schadete es doch nicht, die Möglichkeit eines Hinterhalts zu bedenken. Er war abgestiegen, um sich einige Spuren genauer anzusehen, als das Spiel von vorne losging.
»Will?«
Ohne sich umzudrehen, antwortete Will durch zusammengebissene Zähne. »Ja, Horace?«
»Kannst du mich jetzt sehen?«
»Nein, ich kann dich nicht sehen, Horace«, sagte Will, ohne aufzublicken.
»Du schaust ja gar nicht.«
Die Stimme war unnachgiebig und erinnerte Will an das letztjährige Erntedankfest auf Seacliff. Dort hatte er ein kleines Kind beobachtet, das begeistert auf einer Holzschaukel hin- und hergeschwungen war und unaufhörlich gerufen hatte: »Papa! Schau mal! Schau mal!«
Seufzend drehte Will sich um. Horace saß auf Kobold und hatte sich hinter einem großen Busch versteckt.
»Horace, du sitzt auf einem großen braunen Schlachtross,
das vielleicht eine Vierteltonne wiegt. Aber natürlich kann ich dich sehen.«
Horace betrachtete sein Pferd, das bewegungslos dastand, und ihm wurde klar, dass es für ein Schlachtross in der Tat schwierig war, unauffällig zu bleiben.
»Oh«, sagte er und die Enttäuschung in seiner Stimme war unüberhörbar. »Aber wenn Kobold nicht hier wäre? Könntest du mich dann sehen?«
»Nicht so leicht zu beantworten, Horace«, sagte Will, »denn Kobold ist nun mal da, und es ist ziemlich schwierig, ihn zu übersehen. Er sticht einem irgendwie sofort ins Auge und das verträgt sich nicht mit der ganzen Idee von Tarnung, verstehst du?«
Horace kaute nachdenklich auf seiner Unterlippe. Will konnte nicht widerstehen.
»Das habe ich gesehen. Du hast auf deiner Unterlippe gekaut.«
Horace machte eine ungeduldige Handbewegung.
»Das habe ich auch gesehen«, sagte Will unnachgiebig. »Wenn du ungesehen bleiben willst, musst du vermeiden, auf deiner Unterlippe zu kauen und mit dem Arm herumzuwedeln. Und am besten ist es, wenn du dabei nicht auch noch auf einem riesigen Schlachtross sitzt.«
»Schon gut, hab verstanden«, sagte Horace leicht verärgert. »Aber wenn du deine Vorstellungskraft einsetzt…«
»Du möchtest, dass ich mir vorstelle, Kobold wäre nicht da?«, fragte Will nach.
»Genau.« Horace war entschlossen, sich von Wills Spott nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. »Wenn er nicht hier wäre, könntest du mich dann sehen?«
Erneut hatte Will das Gefühl, das Ganze könnte noch stundenlang so weitergehen. Er seufzte schwer. »Tja, wenn ich mir vorstelle, dass Kobold nicht hier wäre, fände ich es unglaublich schwierig, dich zu sehen, Horace.«
»Dachte ich es mir doch«, sagte Horace zufrieden.
»Besonders, weil du dann mannshoch in der Luft schweben würdest«, fügte Will halblaut hinzu.
»Wie war das?«, fragte Horace misstrauisch.
»Ich sagte, du kämst mir vor wie aus Luft«, sagte Will laut, und Horace nickte. Will hielt es für eine gute Idee, jetzt das Thema zu wechseln.
»Lass uns doch noch einmal im Galopp weiterreiten, bevor wir das Nachtlager aufschlagen«, meinte er.
Horace gab mit einem Schulterzucken zu verstehen, dass er nichts einzuwenden hatte.
»Ist mir recht«, sagte er. Dann fügte er im Nachsatz hinzu: »Bist du sicher, dass du mich dann nicht aus den Augen verlierst? Ich könnte in der Dunkelheit völlig verschwinden…«
»Ich tue mein Bestes«, sagte Will.
Und für einen winzig kleinen Moment wünschte er beinahe, sein Freund würde tatsächlich verschwinden.
An diesem Abend nahmen sie
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