Die Chroniken von Araluen - Der Krieger der Nacht: Band 5 (German Edition)
Himmel. Der Mond stand nahe am Horizont. Die Lichtverhältnisse waren nun so, wie er sie brauchte.
»Dann mache ich mich jetzt auf den Weg«, kündigte er an.
Er streckte sich, stand jedoch noch nicht auf. Einige Minuten lang beobachtete er die Umgebung, nahm den natürlichen Rhythmus der Nacht in sich auf – wie die niedrigen Büsche sich im Wind bewegten, wie die Schatten der Wolken übers Land zogen. Das Land vor ihm bot ein Muster aus Licht und Schatten und leiser Bewegung, und er nahm alles in sich auf, bereitete sich darauf vor, darin aufzugehen und damit zu verschmelzen. Ohne einen Laut ging er los, tauchte ein in die Nacht. Malcolm und Xander sahen ihm nach, und obwohl sie wussten, wo er war und welches Ziel er hatte, schien er bereits Sekunden später von dem Muster aus Licht und Schatten verschluckt zu werden. Plötzlich war er einfach verschwunden. In einem Moment war er noch da, im nächsten schon nicht mehr.
Malcolm hörte, wie Xander überrascht Luft holte. Ausnahmsweise einmal war der kleine Sekretär zu verblüfft, um eine scharfzüngige Bemerkung zu machen.
»Habt Ihr das gesehen?«, fragte er und drehte sich zu Malcolm.
Der Heiler schüttelte langsam den Kopf. »Nein, habe ich nicht. Und genau das macht mich sprachlos.
M ittlerweile war Alyss in ihrer Turmzelle äußerst beunruhigt. Da Buttle sie zweifelsfrei erkannt hatte, war es sinnlos gewesen, weiter vorzugeben, sie sei eine ahnungslose Edeldame auf dem Weg zu ihrer Hochzeit.
Überraschenderweise hatte Keren keinen Versuch unternommen, weitere Hinweise von ihr zu erhalten. Er hatte lediglich die Stirn gerunzelt, seine Wachen gerufen und sie in dieses Gefängnis bringen lassen. Max, der nur mit einem Dolch am Gürtel ausgestattet war, der mehr Zierrat denn Waffe war, hatte sie verteidigen wollen, doch sie hatte es ihm verboten. Sie wollte nicht für seinen Tod verantwortlich sein. Er und die beiden Zofen waren fortgeführt und ebenfalls eingesperrt worden. Zweifellos würde auch ihre Eskorte, die bei den Burgtruppen untergebracht war, in Kürze eingesperrt werden.
Es war Kerens scheinbare Gleichgültigkeit, die Alyss Kopfzerbrechen bereitete. Zweifellos war er für die merkwürdigen Vorfälle auf Burg Macindaw verantwortlich. Aus welchem Grund? Die naheliegende Annahme war, dass er genau das plante, was er Orman und Will unterstellt
hatte – nämlich die Burg den Skotten zu übergeben. Nachdem er sowohl die Rechte von Syron als auch von Orman verletzt hatte, konnte er kaum erwarten, von König Duncan als Herr über Macindaw eingesetzt zu werden. Also musste er außerhalb des Königreichs nach Belohnung Ausschau halten.
Was immer er vorhatte, es war nichts Gutes. Es kam Alyss merkwürdig vor, dass er nicht einmal versucht hatte, sie zu befragen, um herauszufinden, was sie und Will vorhatten und wie viel sie wussten. Insgeheim hatte sie sogar befürchtet, gefoltert zu werden.
Sie zuckte zusammen, als die Tür geöffnet wurde und – wie als Antwort auf ihre Überlegungen – Keren eintrat.
Er sah sich im Zimmer um und musterte die karge Möblierung: ein Tisch, zwei Stühle und ein Holzbett mit einer dünnen Strohmatratze, darüber zwei grobe Decken. Es gab einen Kamin, in dem ein bescheidenes Feuer brannte, eine kleine polierte Öllampe bot zusätzliches Licht. Vor das Fenster, das durch senkrechte Eisenstäbe verriegelt war, konnte ein schwerer Vorhang gezogen werden, um den gröbsten Wind abzuhalten. Im Augenblick war der Vorhang zurückgezogen.
»Nett und gemütlich?«, fragte er fröhlich.
»Es könnte schlimmer sein«, erwiderte Alyss.
Er nickte lächelnd. »Oh ja, das könnte es tatsächlich. Und ich denke, das solltet Ihr auch nicht vergessen.«
»Ich hoffe, meine Leute sind wohlauf?«, fragte sie.
Keren zuckte mit den Schultern. »Sie sind alle zusammen im Keller untergebracht. Nicht allzu bequem, aber er hat eine gute, starke Tür. Einer Eurer Soldaten wollte
sich widersetzen. Er wurde leicht verletzt, doch er wird sich erholen.«
»Ich hoffe, Ihr erwartet dafür nicht meinen Dank«, sagte sie kühl.
Wieder zuckte er nur mit den Schultern und tat die Sache als unwichtig ab. Er deutete auf den Tisch und die Stühle. »Setzen wir uns. Ich denke, es ist Zeit, dass wir uns etwas unterhalten.«
Also fängt es jetzt an, dachte sie und betrachtete ihn mit einer gewissen Vorsicht. Doch es hatte keinen Sinn, sich zu sträuben, und so ging sie zum Tisch, zog einen der Stühle heraus und setzte sich in aufrechter Haltung.
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