Die Chroniken von Araluen - Die Belagerung: Band 6 (German Edition)
er hinsichtlich seiner eigenen Beweggründe nicht ganz sicher war. Vor seiner Abreise hatte er Evanlyn – wie er und Will sie immer noch nannten – öfter gesehen. Genauer gesagt, schien sie seine Gesellschaft zu suchen. Sosehr er das genoss, so unangenehm war es ihm. Es kam ihm vor, als nutze er seine Stellung hinter Wills Rücken aus. Er wusste, dass Evanlyn und Will immer eine besondere Beziehung zueinander hatten. Manchmal vermutete er sogar, dass Evanlyn es deshalb genoss, mit ihm zusammen zu sein, weil es sie an die Zeiten erinnerte, als Will auch dabei war.
Wenn Will eine enge Beziehung zu jemand anderem entwickelte – Alyss zum Beispiel –, dann würde das auch sein eigenes Verhältnis zu Evanlyn klären. Dementsprechend konnte Horace nicht restlos sicher sein, dass er nicht aus Eigennutz handelte, wenn er sich in die Sache zwischen Alyss und Will einmischte.
Also schwieg er lieber.
Unvermeidlich kam der Zeitpunkt, wo ihre Wege sich trennen mussten. Alyss würde nach Südwesten zur Burg Redmont reiten. Horace’ Weg führte nach Osten zum Schloss Araluen, während Will eine Nachricht von Walt und Crowley erhalten hatte, die ihn zu einer
Besprechung nach Südosten zum Versammlungsplatz führte.
Schon wieder Abschied nehmen, dachte Will düster, als sie schweigend an der Wegkreuzung standen. Alyss’ kleine Eskorte war aus dem Kerker von Macindaw geholt worden, sobald die Burg wieder genommen worden war, und stand jetzt in respektvoller Entfernung, als die drei alten Freunde sich voneinander verabschiedeten.
Will und Horace nickten einander zu, traten verlegen von einem Fuß auf den anderen, murrten ein paar unverständliche Worte und schlugen einander ein paar Mal auf den Rücken, so wie junge Männer es eben machen. Dann trennten sie sich.
Alyss umarmte Horace und küsste ihn auf die Wange.
»Vielen Dank noch mal, Horace.« Sie lächelte. »Es wurde ziemlich langweilig dort oben in dem Turm. Ohne dich hätte ich noch länger dort ausharren müssen.«
Horace grinste. Er verspürte keine Verlegenheit in der Nähe der großen eleganten Diplomatin.
»Ach was, du hättest dich schon herausgeredet«, sagte er. Sie lächelten sich an und Alyss gab ihm noch einen Kuss auf die Wange.
Dann drehte sie sich zu Will, sah ihm tief in die Augen und sagte: »Danke, Will. Danke für alles.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich muss mich bei dir bedanken, Alyss. Du hast mir das Leben gerettet.«
Sie schwiegen, dann beugte sie sich vor, legte die Hände leicht auf seine Schultern und küsste ihn – allerdings nicht auf die Wange. Schon einmal, es war bereits eine Weile her, hatte er gespürt, wie weich und zart ihre Lippen waren. Er erinnerte sich jetzt daran.
Alyss trat zurück und wieder sahen sie sich in die Augen. Aus einem inneren Drang heraus umarmte sie ihn und spürte, wie er umgekehrt auch seine Arme um sie legte. Sie hielten einander für eine lange, lange Zeit fest.
»Schreib mir, Will«, flüsterte sie und merkte, wie er nickte. Schließlich fand er seine Stimme wieder und schaffte es hervorzustoßen: »Mach ich. Schreib du auch.«
Unvermittelt trat er einen Schritt zurück, nickte ihr und Horace zu und sagte hastig: »Wiedersehen, ihr beiden. Ich werde euch sehr vermissen …«
Er hielt inne, und einen Augenblick lang dachte Alyss, er würde noch etwas hinzufügen. Sie machte sogar einen halben Schritt auf ihn zu. Doch dann sagte er abrupt: »Verdammt! Ich hasse Abschiednehmen!«
Er schwang sich in den Sattel und lenkte Reißer auf die Straße nach Südosten. Horace und Alyss sahen Ross und Reiter nach, bis sie immer kleiner wurden, und lauschten, bis der Klang der Hufe nicht mehr zu hören war. Einmal hob Will die Hand zu einem Gruß. Doch er sah sich nicht um.
Das tat er nie.
Auf dem Versammlungsplatz hörten sich Walt und Crowley Wills Bericht an. Er hatte bereits einen schriftlichen Rapport per Boten vorausgeschickt, doch die beiden wollten alles noch von ihm persönlich hören. Oftmals konnte nicht alles zu Papier gebracht werden. Sie nickten verständnisvoll, als er während des Abendessens die Ereignisse beschrieb. Crowley war besonders interessiert an der Schilderung von Malcolms Fähigkeiten als Heiler – wie auch seiner Kunst, Trugbilder zu erschaffen, oder seiner Kenntnis chemischer Stoffe.
»Es könnte von Nutzen sein, einen Mann wie ihn zur Hand zu haben«, sagte er. »Meinst du, er wäre bereit, von Zeit zu Zeit mit uns zusammenzuarbeiten?«
Will dachte kurz
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