Die Chroniken von Araluen - Die Schwertkämpfer von Nihon-Ja
befehlen, weil ich sie nicht in die Lage bringen möchte, einen Befehl ihres Herrn verweigern zu müssen. So etwas würde sie außerordentlich beschämen.«
»Aber wenn Ihr ihnen einen Befehl gebt, dann müssen sie doch …« Evanlyn hielt inne. Ihre Enttäuschung war allzu offensichtlich, und sie bemühte sich, ihre Fassung wiederzugewinnen. Sie wusste, dass es ihrer Bitte nicht dienlich wäre, wenn sie Verärgerung zeigte. Als Prinzessin war sie daran gewöhnt, Befehle zu erteilen, die sofort befolgt wurden. Sie konnte nicht begreifen, warum Nimatsu nicht das Gleiche tun wollte.
Alyss, die mehr Erfahrung in diplomatischen Verhandlungen hatte, meinte einen Hoffnungsschimmer zu erkennen, denn Nimatsus Weigerung war zögernd erfolgt. Er würde es offensichtlich vorziehen, ihnen zu helfen, war aber aus irgendeinem Grund nicht dazu in der Lage.
»Werter Herr Nimatsu, wollt Ihr uns nicht sagen, weshalb Ihr das Volk der Hasanu nicht bitten könnt, ihrem Kaiser zu helfen?«, fragte sie. Sie hatte die Worte ganz bewusst so gewählt, um anzudeuten, dass er gewiss einen triftigen Grund für seine Handlungsweise hatte.
Sein Blick verriet ihr, dass sie richtig vermutet hatte.
»Die Hasanu haben Angst«, sagte er geradeheraus.
Alyss lehnte sich überrascht zurück. »Vor Arisaka?«
Er schüttelte den Kopf. »Um nach Ran-Koshi zu gelangen, müssten wir zuerst durch den Uto Wald«, erklärte er. »Die Hasanu glauben jedoch, dass ein böser Geist im Wald sein Unwesen treibt.«
»Ein böser Geist?«, wiederholte Evanlyn fragend.
Nimatsu beugte entschuldigend den Kopf. Die Mädchen spürten, dass ihm die Sache sehr unangenehm war. Er wollte ganz sicher nicht seine Untertanen vor Fremden lächerlich machen. Dann schien er zu einer Entscheidung zu kommen.
»Ein Dämon«, erklärte er. »Sie glauben, dass ein böser Dämon im Uto Wald sein Unwesen treibt und wollen unter gar keinen Umständen mehr einen Fuß hinein setzen.«
»Aber ist das nicht ein Aberglaube?«, sagte Evanlyn. »Gewiss werdet Ihr …«
Alyss legte warnend die Hand auf den Arm ihrer Gefährtin. Es nützte ihnen gar nichts, wenn sie mit Nimatsu darüber debattierten.
»Es ist ein Aberglaube, der bereits siebzehn meiner Leute getötet hat«, sagte er einfach.
Evanlyn war sprachlos. Die Hasanu mochten Fremden gegenüber schüchtern sein, aber sie waren wahre Hünen und ungemein kräftig und dem Ruf nach sehr mutige Kämpfer. Wieso hatten so viele von ihnen in dem Wald ihren Tod gefunden?
»Glaubt Ihr selbst denn auch an diesen Dämon, mein Herr Nimatsu?«, fragte Alyss, und wieder begegnete sie dem gelassenen Blick des Burgherrn.
»Ich glaube, dass es ein furchtbares Raubtier im Wald gibt«, sagte er. »Einen Dämon? Nein. Das glaube ich nicht. Aber das ist nicht wichtig. Die Hasanu glauben an Dämonen, und sie glauben, dass eine solche Kreatur im Wald ihr Unwesen treibt. Also werden sie ihn nicht durchqueren. Und ich werde es ihnen nicht befehlen. Es hat keinen Sinn, einen Befehl zu erteilen, von dem ich weiß, dass er nicht befolgt werden wird. Diese Weigerung würde sowohl mich als auch die Hasanu in eine peinliche Lage bringen.«
»Gibt es denn nichts, was wir tun können?«, fragte Evanlyn.
Nimatsu zuckte mit den Schultern. »Ich wüsste nicht, wie Ihr sie überzeugen könntet.«
Alyss holte tief Luft und straffte ihre Schultern. »Was wäre, wenn wir diesen Dämon töten?«
Fünfundvierzig
G eneral Todoki sah zuerst ungläubig, dann mit zunehmender Wut, wie seine Männer sich zurückzogen. Anfänglich waren es nur wenige gewesen, doch nach und nach folgten immer mehr Soldaten ihren Kameraden und versuchten, so viel Abstand wie möglich zu diesem furchtbaren Schildwall und den herauszuckenden Klingen zu halten.
Der General, der von einem halben Dutzend seiner älteren Offiziere umgeben war, rannte los, um sie aufzuhalten. Er zog noch im Laufen sein Schwert und schrie den zurückweichenden Senshi Befehle zu und beschimpfte sie.
»Feiglinge! Feiglinge! Dreht um und stellt euch dem Feind! Es sind nur Bauern! Dreht um und stellt euch!«
Die Männer, die ihm am nächsten waren, hielten in ihrem überstürzten Rückzug inne, machten jedoch keinerlei Anstalten, seinem Befehl zu folgen. Die Offiziere des Generals liefen zwischen den beschämten Soldaten umher, stießen sie, damit sie dem Feind ins Gesicht sahen, riefen Beleidigungen und Drohungen, schlugen sie mit Fäusten oder dem Schwertknauf. Ein Mann stand regungslos da, mit dem Rücken zum
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