Die Chroniken von Araluen - Die Schwertkämpfer von Nihon-Ja
verbracht hatten.
Nimatsu hob die Hände und der Jubel verebbte.
» Das Grauen hat siebzehn unserer Freunde und Nachbarn getötet. Jetzt haben diese Mädchen, diese jungen Frauen aus einem anderen Land, das Grauen beendet!« Alyss horchte auf. Er hatte nicht das Wort Gaijin benutzt. Wörtlich bedeutete es Fremde, doch der Ausdruck hatte auch etwas Abschätziges. Offensichtlich wollte Nimatsu vermeiden, dass seine Worte missverstanden werden könnten.
»Volk der Hasanu, erweist Ev-an-in-san und Ariss-san euren Dank.«
Jetzt war der Jubel ohrenbetäubend. Alyss blickte zu Evanlyn, die neben ihr stand. Die Prinzessin lächelte.
»Ich denke, jetzt könnten wir winken«, sagte sie.
Sie bedankten sich, dann trat Nimatsu zu ihnen.
»Jetzt müsst Ihr euch ausruhen«, sagte er. »Ich werde unverzüglich Boten losschicken, um die Armee der Hasanu zu sammeln. Bis zum Ende der Woche werden wir abmarschbereit sein, um Kaiser Shigeru zu Hilfe zu kommen.«
Alyss lehnte sich im heißen Badewasser zurück und spürte, wie das Wasser die blauen Flecken und die Schmerzen ihres Kampfes mit dem Schneetiger linderte. An die grauenhafte Angst, die sie verspürt hatte, als das Biest unvermittelt aus der Dunkelheit aufgetaucht war und sie angesprungen hatte, konnte sie sich noch allzu gut erinnern. Und auch daran, wie trocken ihr Mund gewesen war, als sie sich voller Furcht unter dem Schild zusammenkauerte, während Klauen und Zähne am Holz rissen und sie es splittern hörte und wusste, dass sie dem Angriff nicht viel länger standhalten konnte. Und an die überwältigende Erleichterung, als Evanlyns erster Schuss kam.
»Sie ist tatsächlich so gut, wie man es erzählt«, sagte sie leise vor sich hin.
Widerstrebend stieg sie aus dem dampfenden heißen Wasser und hüllte sich unter leichtem Stöhnen in eine warme Robe, weil der Schmerz in ihren Muskeln sich bemerkbar machte. Aber zumindest waren die Schmerzen nicht mehr so schlimm wie vor dem Bad. Sie hörte ein leises Klopfen an der Tür.
»Herein«, rief sie.
Die Tür glitt auf und Evanlyn trat ein. Sie hatte ebenfalls ein Bad genommen. Auch sie trug einen Kimono und ihr blondes Haar war immer noch nass.
»Wie geht es dir?«, fragte sie.
Alyss ging zu einem niedrigen Hocker, setzte sich ächzend und bedeutete Evanlyn, sich neben sie zu setzen.
»Ich werde es überleben«, sagte sie mit einem müden Lächeln. »Das heiße Wasser bewirkt jedenfalls Wunder. Und was mich nicht verkocht, macht mich stärker«, sagte sie in Abwandlung des alten Sprichworts. Dann wurde ihr Blick ernst.
»Mir ist aufgefallen«, sagte sie, »dass ich mich bei all der Aufregung und dem Jubel noch gar nicht bei dir bedankt habe.«
»Bei mir bedankt?«, wiederholte Evanlyn verwundert. »Ich habe niemals etwas erlebt, was auch nur annähernd mit dem mithalten könnte, was du letzte Nacht getan hast! Das war das Mutigste, was ich je gesehen habe! Wie bist du überhaupt darauf gekommen?«
Alyss wurde rot, auch wenn das nicht weiter auffiel, da ihr Gesicht von der Hitze des Bades sowieso schon gerötet war.
»Ich erinnerte mich an etwas, das Selethen uns in Toscano erzählt hat. Er beschrieb, wie einer der Stämme im Süden von Arrida Löwen jagt. Sie lassen sich von den Löwen umwerfen, dann liegen sie unter ihren Schilden und stechen von unten zu. Also dachte ich mir, wir könnten auf ähnliche Weise mit dem Grauen umgehen. Allerdings«, fügte sie lächelnd hinzu, »haben die Arridi nicht das Glück, eine Freundin zu haben, die Eisenkugeln schleudert. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie erleichtert ich war, als du zu meiner Rettung kamst.«
Alyss sah ihre Gefährtin dankbar an. Jeder machte viel Tamtam, weil sie sich bereit erklärt hatte, im Wald als Köder zu dienen. Aber im Gegensatz zu ihr hatte Evanlyn keinerlei Schutz gehabt. Wenn ihre Schüsse mit der Schleuder nicht so genau getroffen hätten, dann hätte sie es mit einem wütenden Raubtier aus nächster Nähe zu tun gehabt – und zwar ohne Schild, Rüstung oder sonstiger Abwehrwaffe.
Also hatte nicht nur Alyss ihr Leben riskiert, sondern auch Evanlyn. Alyss verspürte großen Respekt für sie, nicht nur weil sie so gut mit der Schleuder umgehen konnte, sondern auch, weil sie sich in Gefahr begeben hatte, um ihre Gefährtin zu retten.
Wenn da nicht dieses eine wäre … Alyss schob den unwürdigen Gedanken beiseite. Aber Evanlyn schien es ganz ähnlich zu ergehen.
»Alyss«, sagte sie unsicher, »eines Tages werde ich Königin sein.
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