Die Chroniken von Araluen - Die Schwertkämpfer von Nihon-Ja
deutete auf die Prinzessin, die jetzt an Deck kam. »Ich hätte mir die Haare nicht allein schneiden können, und es war ihre Idee, meine Haut etwas dunkler zu machen.«
»Du liebe Güte«, wiederholte Will.
Alyss runzelte die Stirn. »Etwas anderes fällt dir nicht ein?«
»Aber … wie habt ihr das geschafft?«, fragte Will.
Alyss zuckte mit den Schultern. »Ich bin Kurier«, antwortete sie. »Für uns ist es nicht unüblich, verkleidet zu gehen, daher gehört eine entsprechende Ausrüstung zu unserer Reiseausstattung. Haut- und Haarfärbemittel und so weiter. Wir mussten das Haar kurz schneiden, weil ich nur eine kleine Phiole dunkler Haarfarbe hatte.«
»Tja, man wird dich zwar nicht gleich für eine Einheimische halten«, sagte Walt, »aber du wirst sehr viel weniger Aufsehen erregen als mit deinen blonden Haaren und der hellen Haut.«
»Und ich darf sagen, dass dieses neue Aussehen ganz zauberhaft ist«, fügte Selethen galant hinzu.
Alyss lächelte ihn an und vollführte einen kleinen Knicks in seine Richtung. Sie sah, wie Will für eine weitere Bemerkung Luft holte, und schnitt ihm daraufhin gleich das Wort ab. »Wenn du noch einmal ›Du liebe Güte‹ sagst, verpasse ich dir einen Tritt gegen das Schienbein.«
Da er genau das hatte sagen wollen, hielt Will lieber den Mund.
Alle drei gingen den Kai entlang. Als sie eine Querstraße erreichten, zögerten sie.
»Rechts oder links?«, fragte Walt.
»Oder geradeaus?«, warf Will ein. Vor ihnen lag eine breite und an beiden Seiten hell erleuchtete Straße. Ob die Lichter von Läden, Gasthäusern oder Tavernen kamen, war schwer zu sagen, da die Schilder alle mit unverständlichen Schriftzeichen versehen waren. Die Straße verlief ungleichmäßig im Zickzack und es gab zahllose kleinere Gassen, von denen wiederum Wege abzweigten. Von allen drei Möglichkeiten schien Walt »geradeaus« die beste Wahl zu sein. Er machte einen Schritt in diese Richtung, dann zögerte er.
»Warum können Männer nie nach der Richtung fragen?«, sagte Alyss. Sie hatte ein paar Einheimische bemerkt, die auf der Hafenmauer saßen und Angelruten in das dunkle Wasser hielten. Entschlossen ging sie auf die Männer zu und verbeugte sich höflich. Einer der Angler sprang von der Mauer und verbeugte sich ebenfalls. Alyss sprach leise mit ihm, woraufhin er gestikulierte und verschiedene Richtungen andeutete. Dann hielt der Mann drei Finger hoch, um sicherzugehen, dass er richtig verstanden worden war. Alyss verbeugte sich erneut und kehrte zu den beiden Waldläufern zurück.
»Was hat er gesagt?«, fragte Will.
Sie lächelte ihn an. »Er sagte, mein Nihon-Jan sei ausgezeichnet. Dann schmälerte er das Lob sofort wieder, indem er hinzufügte ›für eine Gaijin ‹. Ich betrachte es trotzdem als Kompliment.«
»War dein ausgezeichnetes Nihon-Jan gut genug, um seine Richtungsangaben zum Rillokan zu verstehen?«, fragte Will sarkastisch.
»Es heißt Ryokan , und ja, das war es. Die Hauptstraße geradeaus bis zur dritten Laterne. Dann links, danach die vierte rechts. Vor dem Gasthaus hängt ein Schild mit einem Kranich – einem fliegenden Kranich«, fügte sie hinzu, um etwaigen Kommentaren zuvorzukommen. Aber Walt zuckte lediglich mit den Schultern.
»Also hatte ich recht. Es geht hier entlang«, sagte er, und sie machten sich auf den Weg.
Die Gebäude an diesen Straßen standen eng zusammengedrängt. Sie waren aus Holz gebaut und strohgedeckt. Türen und Fenster bestanden aus Schiebevorrichtungen, durch deren durchsichtige Scheiben der warme gelbliche Schein von Laternen auf die Straße fiel. Walt trat etwas näher an eine dieser Türen und betrachtete die kleinen Paneele.
»Das ist Papier«, stellte er fest. »Dickes Papier. Wahrscheinlich gewachst oder geölt, um es regenfest zu machen. Aber es lässt Licht hindurch und bietet gleichzeitig Privatsphäre. Sehr wirkungsvoll.«
»Nicht wirkungsvoll genug, um Einbrecher abzuhalten«, meinte Will.
»Vielleicht sind die Einheimischen alle sehr gesetzestreu«, sagte Alyss.
Sie erreichten die dritte Straßenlaterne, die an einem Mast hing und im Wind hin und her schwang, und bogen nach links in eine Seitenstraße ab. Die Gebäude links und rechts schienen sich näher aneinander zu drängen. Die Hauptstraße war menschenleer gewesen. Hier jedoch waren mehr Leute unterwegs, Frauen trippelten schnell in ihren langen, schmalen Gewändern, Männer liefen mit größeren Schritten. Die Vorbeigehenden musterten die Gaijin neugierig.
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