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Die Chroniken von Blarnia

Die Chroniken von Blarnia

Titel: Die Chroniken von Blarnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Gerber
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die Zeit davonlief. Er blickte sich um. Bis auf den Kleiderschrank war das Zimmer völlig leer.
    »WORAUF WARTEST DU NOCH?«, sagte die Stimme. »ICH BIN ES LANGSAM LEID, GROSSBUCHSTABEN ZU TIPPEN.«
    »Schon gut, schon gut«, sagte Ed und schlüpfte in den Schrank. Das hatte er von Anfang an vorgehabt, er hasste es nur, herumkommandiert zu werden. Leicht schwitzend stand er nun zwischen den Kleidungsstücken, atmete den Geruch von Patschuli und Mottenkugeln ein und spürte, wie Satin über sein Gesicht streifte. Durch den Türspalt sah er, wie der Professor abrupt die Zimmertür öffnete und ungefähr in Po-Höhe eine Spritze in die Luft rammte. Als er merkte, dass er ins Leere getroffen hatte, trat er ein.
    »Verdammt!«, sagte der Professor, »wo sind die kleinen Scheißer bloß hin?«
    Er begann im Zimmer umherzugehen, wobei er immer erst ein paar Schritte machte und dann plötzlich herumwirbelte. »Ah-HA!«, sagte er wieder und wieder. »Ah-HA!... Oh, mir ist schwindelig...«
    Zu seinem Entsetzen stellte Ed fest, dass er niesen musste. Patschuli hatte auf ihn stets diese Wirkung. Ihm blieb nichts anderes übrig, als in den Schrank zu kriechen, so weit er konnte, und das Geräusch mit einer Bauernbluse, einer Nehru-Ja-cke oder etwas Ähnlichem zu ersticken. So leise wie möglich zog Ed die Schranktür zu.
    Aus dem Augenwinkel sah der Professor, wie die Tür sich schloss. »Wer war das?«, schnauzte er.
    »Nur der Wind«, ertönte Eds gedämpfte Stimme. »Wuuu-huuu.«
    »Unmöglich. Das Fenster ist doch zu.«
    Ed zögerte. »Das Haus senkt sich«, sagte er dann.
    »Ach so. Na dann.« Der Professor wandte sich zum Gehen. Dann fiel bei ihm der Groschen. »He, Moment mal...« Er stürzte zum Schrank und riss die Tür auf. »Komm da raus, du! Komm schon, dann verpasse ich dir zwei hübsche Gaudinockerln!«
    »Gaudinockerln? Niemals!« Ed schleuderte dem Professor eine Glasperlenkette ins Gesicht, drehte sich um, schob die Klamotten mit den Händen auseinander und zwängte sich nach hinten durch.
    Der Professor versuchte ihm zu folgen, aber zu Eds Glück (und zum Vorteil des Plots) war der zwielichtige Physikus nicht im Stande, seine Furcht vor beengten Räumen zu überwinden. Er nahm all seinen Mut zusammen, setzte einen Fuß in den Schrank - und zog ihn mit einem leisen Schrei rasch wieder zurück. Es war nicht klar, womit er rechnete, falls er sich hineinwagte, aber das liegt nun mal in der Natur von Phobien. Er schwitzte heftig und stieß Kaskaden von gestammelten Flüchen aus. Schließlich brüllte er: »Irgendwann musst du da ja wieder rauskommen, du falscher Hund! Und dann kriegst du das größte und dickste Zäpfchen, das ich finden kann!«
    Ed schluckte. Wo zum Kuckuck war Loo? Sie musste doch irgendwo hier drin sein.
    Wie aufs Stichwort spürte Ed etwas an seinem Fuß. In der Erwartung, es sei weich und lästig wie eine kleine Schwester, trat er zu. Überraschenderweise war es glatt und hart. Ed bückte sich, um seinen schmerzenden Zeh zu massieren... und stieß auf einen Glaskrug, dessen Inhalt offenbar über den ganzen Schrankboden verschüttet war. Vielleicht ist es Bier, dachte Ed. Er steckte den Finger in die Pfütze und leckte ihn ab. Doch verflixt: Es schmeckte nicht so, wie Dads Atem roch! Er hatte keine Ahnung, was es war. Es schmeckte nach gar nichts. Vielleicht konnte er dennoch behaupten, es sei Bier, und es Pete verkaufen. Der war ein ziemlicher Analphabet.
    Als Ed seinen Finger an einem Oben-ohne-Badeanzug von Peter Max abwischte, merkte er, dass der Wandschrank begonnen hatte, zu schaukeln und zu schwingen, aber irgendwie kam ihm das keineswegs ungewöhnlich vor. Nach ein paar Schritten fand er sich in einem verschneiten Wald wieder, genau wie Loo es vorausgesagt hatte. Es war, soweit Ed sich erinnern konnte, das erste Mal, dass die Wahrnehmungen seiner kleinen Schwester auch nur im Entferntesten der Realität entsprachen, und das schockierte ihn zutiefst. Während er auf die Verkehrsampel zuging, die aus dem Wald hervorleuchtete, ertappte er sich dabei, dass er die Möglichkeit in Betracht zog, es könnten sich wirklich kleine Männchen im Radio befinden.
    Ed fühlte sich ausgesprochen seltsam. Dinge, über die er an normalen Tagen gar nicht weiter nachdachte, wie Zweige, Blätter und Ähnliches, fand er plötzlich unglaublich cool. Während er so durch den knirschenden Schnee stapfte, fühlte sich Ed im Einklang mit der gesamten Schöpfung - selbst mit dem Haufen Rentierkot direkt zu seiner

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