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Die Chroniken von Blarnia

Die Chroniken von Blarnia

Titel: Die Chroniken von Blarnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Gerber
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näher kamen, bimmelten ihre Glöckchen eine lustige Melodie, die Ed schließlich als die von »Sympathy for the Devil« identifizierte.
    Obwohl all diese kräftigen Tiere sich mächtig ins Zeug legten, bewegte sich der Schlitten nur sehr langsam vorwärts. Als er näher kam, sah Ed auch, warum: Der Fahrer wirkte zwar recht klein - etwa so groß wie ein Kühlschrank in einer Internatsküche, doch die einzige Passagierin war extrem korpulent, weitaus dicker als jeder andere Mensch, den Ed je gesehen hatte.
    »Schneller!«, hörte Ed sie brüllen. »Ich will noch bei Grün über die Ampel da rüberkommen.«
    Der unförmige kleine Mann ließ die Peitsche knallen, und die Rentiere zerrten mit aller Kraft an dem Schlitten. Ein paar kackten sogar vor Anstrengung, aber das Tempo erhöhte sich trotzdem nicht. Die Kufen gruben sich in den Schnee und wühlten die feuchte Erde darunter hoch. Der zwergenhafte Kutscher knallte wieder mit der Peitsche, dann stieg er ab und trieb die Rentiere so leidenschaftlich an wie das begeisterte Publikum die Läufer am Ziel eines Marathons. Schließlich bewegte sich der Schlitten im Schneckentempo zur Ampel, die inzwischen auf Rot umgesprungen war. Resigniert bestieg der Kutscher wieder seinen Sitz.
    »Verdammt«, sagte die voluminöse Passagierin. Jetzt sah Ed sie deutlicher: eine Vier-Zentner-Walküre mit einer Haut so blass wie Magermilch. Sie war halb Zauberin, halb Seekuh, hatte entsetzlich rote Lippen, einen Gesichtsausdruck wie ein Mops und eine spitze Krone mit scharfen Dornen auf dem Kopf, auf die ein paar gebackene Kartoffeln für den Notfall aufgespießt waren. Sie schien mit jeder Minute fetter zu werden, und doch hielten ihre Kleider. Das lag an der schrecklichen schwarzen Magie, über die die Feiste Hexe verfügte. Sie hatte zwar eine menschliche Gestalt, doch ein solches Geschöpf konnte kein Mensch sein. Und sie war auch keine richtige Frau, denn für nur ein Geschlecht war sie zu böse. Und sie war mit Sicherheit keine Engländerin.
    Während sie an der Ampel standen, rutschte die Hexe nervös auf ihrem Sitz hin und her und quoll dabei über die Ränder des Schlittens wie eine Mülltüte voll Mayonnaise. Sie inspizierte ihre neuen künstlichen Fingernägel, auf denen ICH BIN BÖSE stand - oder gestanden hatte, bis sie abgebrochen waren. »Ich muss unbedingt meine Maniküre foltern.«
    Die Feiste Hexe biss herzhaft in einen wehrlosen Schokoriegel. Die Ampel sprang um, aber der Schlitten rührte sich nicht vom Fleck. »Na los!« Die Frau versetzte dem Kutscher einen Schlag, dass ihm die Augen aus dem Kopf quollen. (Sie war der Typ Chef, der erst zuschlug und dann Fragen stellte.) »Wieso fahren wir nicht?«, fragte sie. »Ich bin am Verhungern !«
    »Wir stecken fest«, sagte der Zwerg.
    »Na, dann peitsch sie noch mal! Und zwar mit etwas mehr Überzeugung!«
    »Ja, Ma’am«, sagte der Zwerg und tat so, als würde er gehorchen. Er war gegen Gewalt, aber es war nicht leicht, in Blarnia einen Job zu bekommen. * Also hatte er den Rentieren beigebracht, seiner Peitsche auszuweichen, was sie recht geschickt taten.
    »Ich verstehe nicht, warum die sich so aufführen«, beschwerte sich die Frau beim Anblick ihres hin- und herzuckenden Gespanns. »Scheint fast, als hätten sie einen Anfall. Andere Rentiere haben keine Anfälle.«
    »Ich habe Euch doch erzählt«, sagte der Zwerg nach hinten gewandt, »dass dies hier besondere Rentiere sind. Sie sind böööse, Euer Majestät, genau wie Ihr.«
    »Wenn sie so besonders sind, warum fahren wir dann nicht?«
    »Weil Ihr ein verdammter Vielfraß seid, darum!«, hätte der Zwerg am liebsten geschrien, aber er wusste, dass er sich das nicht erlauben konnte. Er hatte seine Chefin schon Dinge essen sehen, die größer waren als er, und das ohne zu kauen. Daher hielt er den Mund und knallte erneut mit der Peitsche.
    Sie möchten bestimmt gern wissen, warum diese Frau - wie sag ich’s am besten - so kugelrund war. Nein, »kugelrund« trifft es nicht ganz. Darunter stellt man sich ein Pummelchen vor, einen Wonneproppen von ansprechender Körperfülle. Aber die Königin hatte nichts Anprechendes an sich. Diese Frau war eher eine Art Kloß. Und das hatte nichts damit zu tun, dass sie gern aß, das kann ich Ihnen sagen. Essen war für sie nur Mittel zum Zweck, der darin bestand, so massig wie möglich zu werden.
    Wie viele Herrscher war die Königin (die aus offensichtlichen Gründen auch die Feiste Hexe genannt wurde) ständig darauf aus, ihr

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