Die Chroniken von Gonran 1: Stärke oder Tod (German Edition)
Tür.
Es war nichts zu hören. Marcy war bestimmt in ihrer Wohnung oder wartete bereits in der Einfahrt des Waisenhauses auf die Polizei. Vorsichtig schlich Pete auf allen Vieren zu seinem Fenster zurück. Er versteckte sich hinter einem Mauervorsprung rechts davon, stand in deren Schutz leise auf und spähte durch das Fenster auf den Innenhof.
Nichts war zu sehen. Dichte Nebelschwaden zogen langsam durch den Hof. Die wenigen Lampen in der Einfahrt und dem Hof gaben schwache Lichtstrahlen von sich, die im dichten Nebel unterzugehen drohten. Es war totenstill.
Pete kroch langsam zurück zur Tür, stand auf und öffnete diese vorsichtig. Er huschte hinaus und schlich behutsam den dunklen Korridor entlang. Das Licht war, wie immer um diese Zeit, bereits ausgemacht. Pete ging weiter. Da hörte er ein lautes Knurren. Wie angegossen blieb er stehen und suchte angestrengt in der Dunkelheit, woher es kam.
Da! Wieder hörte er das Geräusch. Diesmal war es kein Knurren, sondern ein lautes, wohliges Schnarchen. Pete erkannte, dass er bereits vor Alfreds Tür stand. Dieser schnarchte zufrieden weiter und hatte nicht den leisesten Schimmer, was diese Nacht geschehen würde.
Pete grinste, schlich weiter und erreichte unversehrt die letzte Ecke des Korridors; da, direkt vor ihm, befand sich die Ausgangstür. Sie führte zum Innenhof, von wo aus er die Einfahrt überblicken konnte. Er hielt kurz inne, zögerte. Pete schaute sich nochmals um; es gab tatsächlich keinen anderen Weg. Fenster zur Seite des Ackers hin gab es zwar, aber diese waren alle in den Schlafzimmern der anderen Kinder. Er wollte auf keinen Fall irgendjemandem hier von seinem Plan erzählen. Ihm würde ja doch niemand glauben und wenn, dann würde er nur verraten werden. Pete nahm all seinen Mut zusammen und lauschte angestrengt in die Stille.
Nichts.
Alles, was er hören konnte, war sein Atem. Er wurde langsam schneller, stoßartig.
Vorsichtig nahm Pete die Klinke in die Hand, drückte sie herunter und öffnete, mit einem leisen Quietschen, die alte Holztür. Er spähte durch den Spalt. Im Innenhof war nach wie vor niemand. Jetzt oder nie, dies war seine Chance!
Er öffnete die Tür weiter und zwängte sich auf Zehenspitzen hindurch. Langsam zog er die Tür zu und ließ die Klinke behutsam nach oben gleiten. Die Tür war zu, niemand hatte ihn bemerkt. Er schlich, vornüber gebeugt, der Mauer des Wohnhauses entlang und erreichte dessen Ecke, wo die Mülltonnen standen. Ein beißender Geruch stieg in seine Nase. Es roch nach vergammeltem Fisch. Der alte Harry, der Müllmann, hatte wieder mal auf seiner wöchentlichen Tour das Waisenhaus vergessen. Oder er wollte Marcy aus dem Weg gehen – was Pete ihm nicht übel nehmen konnte.
Pete versteckte sich zwischen zwei Mülltonnen. Von hier starrte er mit zugekniffenen Augen in das Dunkel hinter dem Haus. Er prüfte nochmals mit einem kritischen Blick den Innenhof; alles ruhig, da war niemand.
Noch etwa zehn Meter der Wand des Wohnhauses entlang, dann würde er die Büsche erreichen, die das ganze Areal umgaben. Mit zugekniffenen Augen starrte er angestrengt in die Dunkelheit. Da war nichts.
Pete spannte seine Muskeln an, erhob sich und schlich, Schritt für Schritt, den Büschen entgegen. Er hatte es bald geschafft. Noch zehn Schritte, neun, acht, ……sieben …
Mit einem lauten, metallenen Donnern krachte eine der Mülltonnen auf das Pflaster und rollte mit ohrenbetäubendem Scheppern durch den Innenhof. Zu Tode erschrocken spurtete Pete instinktiv los und hechtete Kopf voran in den nächsten Busch. Hastig tastete er sich ab. Der Umschlag war fest eingeklemmt unter seinem Gürtel. Pete rappelte sich auf, schob einen Zweig beiseite und spähte in den Innenhof. Er sah zwei Punkte, die sich rasch hin und her bewegten, jedoch immer der Spur folgten, die die Mülltonne hinterlassen hatte.
Was war das?
Da hörte er das zufriedene Schnurren einer Katze und eifriges, lautes Schmatzen.
Erleichtert wandte er sich ab, um weiterzugehen, als er plötzlich das Quietschen einer sich öffnenden Tür hörte.
Oh nein!
Die ihm wohlbekannten, schwerfällig stampfenden Schritte hallten im Innenhof und durchdrangen ihn bis auf seine Knochen. Marcy Morgan marschierte zielstrebig auf die zwei Augen zu, schimpfte laut, dann hört er ein lautes „Plopppp“ und die Katze flog laut kreischend quer durch den Innenhof und rannte gleich darauf davon.
„Elende Mistviecher!“, knurrte Marcy und begutachtete die Schweinerei.
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