Die Chroniken von Ninavel – Die Blutmagier
die magische Wand sichtbar machten. Ein winziges Loch erschien darin. Langsam, viel langsamer als bei Simon wurde es größer. Ich atmete flach, um nicht husten zu müssen. In Brust und Bauch musste ich einen Haufen scharfkantiger Felssplitter haben, so fühlte es sich an.
Kirans Gesicht wirkte wie ausgezehrt, seine Kiefermuskeln waren fest angespannt. Das Loch hatte sich noch nicht bis zumBoden ausgedehnt und war noch zu klein, als dass man sicher hindurchspringen könnte. Bei Khalmets Hand, wenn er es nun nicht größer hinbekäme, was dann?
»Kiran!« Ruslan brach durch die Büsche am Flussufer. Er war rasend vor Zorn. Mikail folgte ihm auf dem Fuße.
»Du hast mich ja wohl kräftig verarscht!«, brüllte ich ihn an. Shaikar sollte ihn holen! Der wagte es, hier im letzten Moment aufzukreuzen, wo wir schon fast in Sicherheit waren? Nach allem, was ich durchgemacht hatte, um Kiran zu retten?
Aber keiner würdigte mich eines Blickes. Kiran behielt den Arm oben und sah nicht mal über die Schulter. Das Loch wuchs.
»Nicht«, sagte er zu Ruslan mit angestrengter Stimme. »Du weißt, was passiert, wenn du jetzt zuschlägst. Der Magieüberschuss wird uns alle töten.« Er sprach, als käme er nur mit Mühe darauf, was er sagen wollte.
Mit kalter Berechnung blickte Ruslan auf den schimmernden grünen Schleier. Er und Mikail blieben nur vier Schritte entfernt stehen. Ruslan ignorierte mich vollkommen, aber Mikail warf mir einen undeutbaren Blick zu.
Das Loch war endlich groß genug für einen. Ich rannte darauf zu, trotz der höllischen Schmerzen.
»Kiran.« Ruslan verlegte sich mal wieder auf den milden Ton. »Komm her.« Er wirkte ruhig, sein Blick konzentriert.
Ich hörte Kiran nach Luft schnappen, sah seinen Arm sinken und blieb stehen. Schlimmer war sein Gesichtsausdruck. Er sah aus wie ein Kämpfender, der weiß, dass er schon verloren hat.
»Geh hinüber!«, befahl er mir streng. »Rasch!« Er machte einen schleppenden Schritt rückwärts auf Ruslan zu. Die Ränder des Lochs waberten, es begann zu schrumpfen.
»Verdammte Scheiße«, zischte ich und holte Schwung. Vor Schmerzen wurde mir schon schwarz vor Augen, aber ich warf mich mit der Schulter gegen Kirans Rücken. Er flog durch das Loch, und ich purzelte hinterher und landete auf ihm.
Ruslan stürmte darauf zu, aber zu spät. Das Loch schloss sich mit einem grellen Blitz, der meine Füße um eine Handbreit verfehlte. Die Armschiene sprühte Funken, und Kiran schrie auf.
Ich hatte nur Augen für Ruslan, der direkt vor der schimmernden Wand stand und vor Wut das Gesicht verzerrte. Ich lachte, dass mir das Blut aus dem Mund lief. »Ich bin Sieger, du Arschloch«, rief ich und fiel glücklich in Ohnmacht.
DREIUNDZWANZIG
KIRAN
Kiran riss sich die Armschiene weg und wirkte fieberhaft einen Zauber, um die magischen Kräfte zu dämpfen, bevor sie katastrophal um sich greifen konnten. Sie strudelten und wallten auf, ließen sich aber beherrschen und legten sich.
Noch aufgewühlt von der Anstrengung schaute Kiran auf und begegnete Ruslans loderndem Blick. Er erstarrte. Ruslan stand nur ein paar Schritte entfernt und dicht vor dem Grenzwall. Er bräuchte nur die Hand auszustrecken, um ihn zu berühren.
Die Zeichenbindung war nicht zu spüren. Ruslans Stimme hallte nicht mehr in ihm. Er musste sich nicht mehr gegen seinen zermalmenden Willen stemmen. Er stieß einen bebenden Seufzer aus und stand langsam auf.
»Das ist nicht vorbei«, sagte Ruslan kalt. »Glaube nicht, dass mich dieses«, er machte eine verächtliche Geste, »Machwerk aufhalten wird.«
»Simon war dahinter sicher«, erwiderte Kiran mit erhobenem Kopf.
Ruslan lächelte finster und furchterregend. Unwillkürlich wich Kiran einen Schritt zurück.
»Der war ein Nichts für mich verglichen mit dir. Du bist mein mit Leib und Seele, von mir gezeichnet und gebunden.« Er deutete mit langgliedriger Hand die Geste des alten Rituals an. »Mein. Nichts kann das ändern, solange du lebst, und ich verspreche dir, ich werde dich finden, ganz gleich wo du dich verbirgst oder wie lange ich suchen muss.«
Kiran kehrte ihm den Rücken zu. Er hatte einen Eisklumpenim Magen, und der Schutz des Grenzwalls kam ihm sehr dürftig vor, doch er durfte Ruslan das Ausmaß seiner Angst nicht sehen lassen.
Dev lag zusammengekrümmt auf der Seite. Seine Haut hatte einen kränklichen Gelbstich, und aus Mund und Nase tropfte Blut. Seine Ikilhia glich einem schwachen Flämmchen. Hastig kniete Kiran sich neben ihn und
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