Die Chroniken von Waldsee Trilogie Gesamtausgabe: Dämonenblut Nachtfeuer Perlmond (German Edition)
das Tabernakel zu hüten, bis es dem Zwiegespaltenen dienen sollte«, erklärte Schattenläufer. »Sie waren niemals dafür bestimmt, das Artefakt zu nutzen, und du bist Ylwas Sohn, ein Nauraka. Zumindest zur Hälfte.«
»Ich glaube, ich sollte erleichtert sein, aber ich bin noch viel zu durcheinander«, gestand Rowarn.
»Deine Vermutung lag nahe, und ich muss mich dafür entschuldigen, dass ich das nicht vorhergesehen habe«, sagte Schneemond. »Ich hätte von vornherein erwähnen sollen, dass du nicht dafür ausersehen bist. Der Zwiegespaltene wird ein Geschöpf von großer Macht sein. Er ist noch nicht in Erscheinung getreten. Möglicherweise wäre seine Zeit bereits vor Jahrhunderten gekommen, wenn das Tabernakel nicht zerbrochen wäre. Vielleicht kann er erst erwachen, wenn alle Teile wieder zusammengefügt sind.«
Rowarn war zu verwirrt, um etwas zu sagen. Andererseits machte es alles einfacher. Er brauchte sich nicht um Ardig Hall kümmern, sondern konnte sich ganz auf den Dämon Nachtfeuer konzentrieren, den Mörder seiner Mutter.
Als hätte Schattenläufer seine Gedanken gelesen, bemerkte er: »Zu Beginn war ich von Sorge erfüllt wegen deines Racheschwurs, denn ich befürchtete, er würde dich voll und ganz beherrschen. Aber was du heute getan hast, hat Größe und Weitblick gezeigt, und dass du deine persönlichen Interessen nicht über alles andere stellst, obwohl du in diesem Fall jeden Grund und auch eine gewisse Berechtigung dazu gehabt hättest. Deine Mutter wäre stolz auf dich gewesen.«
»So wie wir«, fügte Schneemond hinzu.
»Das liegt nur an eurer Erziehung.« Es klang fast, als würde Rowarn sich deswegen verteidigen. »Ich habe durch euch mehr gelernt und erfahren als alle anderen zusammen. Ich würde euch Schande bereiten, wenn ich nichts davon beherzigen würde.«
Schneemond sah ihn liebevoll an. »Wir können dich unbesorgt ziehen lassen. Und wenn ich das sagen darf ... es kann gar keinen Zweifel geben, wessen Sohn du bist, wenn man deine Mutter kannte. Ich wünsche dir, dass du noch etwas in Ardig Hall finden wirst, um zu erfahren, wer sie war, und wer die Nauraka sind, deren Blut immer noch in deinen Adern kreist. Vielleicht reicht das, damit du bereit bist, das Erbe anzutreten.«
In dieser Nacht schlief Rowarn völlig ruhig und traumlos, und er erwachte erholt am nächsten Morgen. Mit seinem Kopf war alles wieder in Ordnung und er konnte den Verband abnehmen. Die Wunde hatte sich geschlossen und war nur noch berührungsempfindlich.
Aber der Rest seines Körpers! Jeder einzelne Muskel tat ihm weh, und er quälte sich jammernd und wehklagend aus dem Bett. So wird es von nun an sein, bis mein Körper sich an Strapazen gewöhnt hat, dachte er. Dies ist erst der Anfang.
Er humpelte bis zum See und warf sich hinein. Nach dem Regen gestern war das Wasser eiskalt, aber das tat ihm nur gut. Zuerst träge, dann zusehends zügiger schwamm er quer hindurch, und wieder zurück, und zog weiter seine Bahnen, bis er sich vollends erfrischt und gestärkt fühlte.
Der Himmel zeigte sich wieder von seiner besten Seite. Nur gelegentlich schoben sich bauschige Wolken vor die Sonne und schufen ein Wechselspiel auf dem Erdboden, wo die Schatten dem Licht nachjagten, wiederum vom Licht verfolgt.
Sein letzter Tag in Inniu, denn morgen wollte der Fürst abreisen. Was würde Rowarn heute tun? Was erwarteten die Muhmen von ihm?
Aber sie waren gar nicht da, als er tropfnass zurückkam, sondern bereits bei ihrem gewohnten Tagewerk. Schneemond hatte ihm einen Teller mit frischem Nussbrot und Honig hingestellt, dazu einen Krug Wasser mit einem winzigen, betörend duftenden Tropfen Lindennektar. Das, wusste Rowarn, würde ihm wohl am meisten fehlen – der Verzicht auf diese erlesenen Genüsse, die es nur hier gab. Dieser Krug Nektarwasser würde ihn auf Tage hinaus stärken und ihm Gesundheit verleihen. Die Muskelschmerzen waren bald vergessen, und Rowarn brach nach Madin auf, nachdem er alles bis auf den letzten Rest vertilgt und getrunken hatte.
Die Luft war sauber und frisch, das Feuer auf dem Feld an der anderen Seite der Stadt in der Nacht heruntergebrannt und gelöscht. Nach der Trauerzeremonie würde es keine äußeren Spuren der schrecklichen Ereignisse mehr geben.
Das normale Leben war in Madin bereits wieder eingekehrt, die Händler boten ihre Waren feil, Handwerker fertigten Schuhe, Schmuck und Gebrauchsgegenstände. Frauen hielten ihr Schwätzchen, wenn sie sich auf der Straße
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