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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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der anderen Schriften vervielfältigt, sondern eigene verfasst – dann nämlich, wenn Ihr Monat um Monat berichtet, was sich im Kloster zuträgt und was man aus der Welt hinter den Toren erfährt?«
    »Kleine Sophia«, wiederholte Schwester Irmingard hüstelnd, und die Augen schienen sich in den dunklen Höhlen verstecken zu wollen, »in den Annalen des Klosters steht nur, was Bedeutung hat für diese Welt. Wenn ein neuer Kaiser gewählt oder ein Thronfolger geboren wird, wenn Krieg herrscht zwischen den Landen oder eine Hungersnot über uns hereinbricht. Nur weil ich dies alles aufschreibe und andere Gleiches vor mir taten, kann man dereinst erfahren, wie dieses Kloster in seinen Anfangsjahren den bösen Heiden trotzte und später den Kriegen und wieder später der Flut, die manchmal aus dem Meer kommt und alles Land vernichtet. Was dich allein bewegt, ist jedoch nichtig für die Welt und für die große Ordnung, die Gott vorgesehen hat. Du musst lernen, das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden.«
    »Aber ist es nicht wichtig«, begehrte Sophia auf und musste zwischen den Worten heftig schlucken, »wer mein Vater ist, von dem Schwester Mechthild sagt, sein Name sei schäbig? Wie ist sein Name? Was hat er getan?«
    Schwester Irmingard senkte den Blick und zögerte.
    »Ihr wisst auch, wer er war!«, rief Sophia atemlos. »Ihr wisst es und wollt es mir nicht sagen! Gütiger Himmel! Welches schlimme Verbrechen muss er auf sich geladen haben, dass man es mir verschweigt?«
    Irmingard räusperte sich, und alsbald wurde der übliche hartnäckige Husten daraus. Als sie endlich wieder ruhig zu atmen vermochte, war ihr Gesicht zwar leichenblass, aber ihr Blick wieder ausdruckslos.
    »Ich weiß nicht, wer dein Vater ist, Sophia«, kam es, »und wenn ich es wüsste, so würde ich es dir doch nicht sagen, weil es keine Rolle spielt. Hör nicht auf Mechthilds Spott. Sie versuchte dich zu kränken, weil du ihr schändliches Treiben offenbartest und weil sie ein zänkisches Mädchen ist. Nie wird sie verwinden, dass ihre Familie zwar reich ist, sie aber ohne Gatten bleiben muss. Was aber nun deine Herkunft betrifft – so vergiss sie. Vor allem aber schreib sie nicht auf. Warum tust du das überhaupt?«
    Sophia drehte sich fort von der Schrift und bekannte sich zu ihrem Talent so deutlich wie noch nie. »Schwester Irmingard«, erklärte sie und schwankte zwischen notgedrungener Rechtfertigung und eitlem Stolz, »ich vergesse oft das, was nicht geschrieben steht – alles, was ich nur höre oder sage, alles, was ich erlebe oder man mir erzählt. Was ich jedoch geschrieben oder gelesen habe, bleibt immerdar in meinem Kopfe. Es gibt dann kein Vergessen mehr. Bis zu meinem Tod werde ich’s wissen.«
    Die Stille, die folgte, war nicht nur bleiern wie Irmingards üblicher Überdruss und Müdigkeit. Unmerklich verspannten sich ihre Hände, wenngleich sie selbige zur Ruhe zwang. Langsam griff sie zu einem Buch, schlug es auf und hielt es Sophia vor die Augen – jedoch nachlässig, um dem Kind ihre Erregung nicht zu zeigen.
    »Beweis es mir!«, forderte sie mit trockener Stimme.
    Sophia blickte auf die Seite, welche in Latein geschrieben war und mit gleichen spitzen Buchstaben, wie sie es erlernt hatte. Ihr Inhalt stach nicht so wie die vorhin selbst formulierten Fragen. Gemächlich glitten Satz für Satz, Phrase für Phrase in ihren Kopf und blieb haften, ohne sich erst mühsam Raum in der weiten Gedankenwelt ertrotzen zu müssen.
    Schließlich löste sie ihren Blick davon und sah wieder hoch.
    Deiner, Herr, bedürfen alle Deine Erwählten wie die Zweige der Reben, wie Luft und Auge des Lichts. Ohne die Rebe welken die Schossen, die Luft ist finster ohne Licht. Du bleibst, Herr, der du bist, und bei Dir gibt es keine Veränderung. So finde ich es in Deinen Büchern gesagt – nämlich in Büchern, die von Deiner Gnade wahrhaftig verfasst wurden, wiederholte sie, ohne dass sie ein einziges Mal nach einem Wort ringen oder prüfend den Blick auf den Text senken musste, das Gelesene, welches der Mönch Gottschalk vor drei Jahrhunderten geschrieben hatte.
    Kaum hörbar seufzte Irmingard auf, um jenen Laut sogleich zu verbergen, indem sie wieder hustete. Dann trat sie zurück, erneut bemüht, den Überdruss, der stets gemächlich trottete, nicht gegen laute Überraschung zu tauschen.
    »Das ist Teufelswerk«, raunte sie dennoch heiser und sprach ein Wort aus, das Sophia noch niemals von ihren Lippen kommen gehört hatte, denn es war satt

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