Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Chronolithen

Die Chronolithen

Titel: Die Chronolithen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
der Begriff an sich: »Chronolith« – ein hässliches Kurzwort, dass irgendein völlig unmusikalischer Journalist kurz nach Chumphon geprägt hatte, ein Wort, das ich nie gemocht, aber wegen seiner Trefflichkeit schätzen gelernt hatte. Chronos, Zeit, und lithos, Stein: Traf das nicht genau ins Schwarze?
    Versteinerte Zeit. Eine Zone absoluter Determiniertheit, umgeben von einem schaumigen Mantel aus kurzlebigen Erscheinungen (Menschen zum Beispiel), die zurechtgemorpht wurden, bis sie saßen.
    Ich wollte nicht zurechtgemorpht werden. Das Leben, das ich mit Ashlee führen wollte, war dasjenige, das mir die Chronolithen gestohlen hatten. Ashlee und ich waren von Tucson zurückgekehrt, um unsere Wunden zu lecken und einander zu geben, was wir an Kraft zu bieten hatten. Für Ashlee wäre nicht viel geblieben, wenn ich weiter für Sulamith Chopra gearbeitet hätte, wenn ich mich weiterhin der Tau-Turbulenz ausgesetzt und nicht aufgehört hätte, mich vom Schicksal instrumentieren zu lassen.
    Nicht, dass wir keine Verbindung mehr hatten. Sue rief gelegentlich an, um sich Rat zu holen, obwohl ich professionell wenig ausrichten konnte ohne Zugang zu ihren Mil-Spec-Codebrütern. [xxxii] Meist rief sie aber an, um mich auf dem Laufenden zu halten, ihren Optimismus oder Pessimismus mit mir zu teilen oder einfach nur zu plaudern. Sie fand, glaube ich, ihre helle Freude an dem Leben, das ich mir zurechtgezimmert hatte – als sei es etwas Exotisches; als gebe es nicht Millionen solcher Familien, die zusehen mussten, wie sie über die Runden kamen. Ich hatte aber nicht im Entferntesten damit gerechnet, dass sie mir in einer solchen Nacht-und-Nebel-Aktion auflauern würde.
    Sicher, Ash hatte am Telefon ein paar Worte mit Sue gewechselt, aber die beiden waren sich nie vorgestellt worden, und Ray war ihr völlig fremd. Ich übernahm die Vorstellung mit einer Begeisterung, die vielleicht zu dick aufgetragen war. Ashlee nickte, schüttelte Hände und zog sich in die Küche zurück, »um Kaffee zu machen«, das hieß, um Zeit zu schinden und um die Anwesenheit der beiden zu verdauen.
    Es sei wirklich nur ein Besuch, versicherte Ray. Sue unterhielt immer noch ihr Netzwerk an Verbindungen zu den übrigen Chronolithenforschern und hatte auf ihrer Fahrt in den Westen ein paar Kontakte aufgefrischt. Und sie hing trotz diverser Widersacher im Kongress längst wieder am Tropf der Bundesmittel. Ihre Arbeit, meinte sie, leide aber kolossal unter der ganzen Geheimniskrämerei, die neuerdings sogar zwischen den Behörden Platz greife und von schwer durchschaubaren bürokratischen Rivalitäten bestimmt werde. Ja, sie sei geschäftlich in Minneapolis, wolle aber eigentlich nichts weiter als ein weiches Kopfkissen für nicht mehr als zwei, drei Nächte.
    »Du hättest vorher anrufen können.«
    »Ja, hätte ich, Scotty, aber man weiß nie, wer mithört. Zwischen den heimlichen Copperheads im Kongress und den Fanatikern auf der Straße…« Sie zuckte die Achseln. »Wenn wir ungelegen kommen, gehen wir ins Hotel, kein Problem.«
    »Ihr bleibt«, sagte ich. »Ich bin einfach nur neugierig.«
    Dass es nicht nur um ein nettes Wiedersehen ging, lag auf der Hand. Doch weder sie noch Ray wollten Einzelheiten preisgeben, und vermutlich war mir das auch ganz recht so, zumindest für heute Abend. Sue und ihr ganzer Enthusiasmus, ihre Besessenheit schienen eine Ewigkeit her zu sein. Seit Portillo hatte sich so viel verändert.
    O ja, wenn die Bandbreite es erlaubte, verfolgte ich immer noch die Nachrichten von Kuins Vormarsch und fragte mich manchmal immer noch, was Tau-Turbulenz wohl bedeutete und was sie wohl mit mir angestellt hatte, aber das waren Nachtmahre, Dinge, die einen überkommen, wenn man nicht schlafen kann und der Regen wie ein ungebetener Besucher ans Fenster klopft. Ich hatte es aufgegeben, Sues Kauderwelsch zu verstehen – ihre Unterhaltungen mit Ray landeten immer wieder bei dunklen Quarks, C-Y-Geo-metrie und anderen esoterischen Dingen. Und was die Chronolithen selbst betraf… warum nicht zugeben, dass ich meinen ureigenen Separatfrieden mit ihnen geschlossen hatte? Dass ich vor meiner Unfähigkeit kapituliert hatte, diese gewaltigen und mysteriösen Ereignisse zu beeinflussen? Vielleicht war es ein kleiner Hochverrat. Aber mir kam es wie gesunder Menschenverstand vor.
    Ich empfand es damals als störend, Sue wieder in meiner Nähe zu haben. Ihre fixen Ideen loderten immer noch lichterloh. Sie war artig, wenn wir über alte Zeiten oder

Weitere Kostenlose Bücher