Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Chronolithen

Die Chronolithen

Titel: Die Chronolithen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
in jeder Dualität, jeder Quantensymmetrie hatte Sue die Präsenz von Shiva gesehen.
    Sie stellte die Fingerspitzen gegeneinander. »Ashlee, sagen Sie mir, wie sie das Wort ›Monument‹ definieren.«
    »Na ja«, sagte Ash zaudernd, »ein Monument ist etwas Gebautes, ein Bauwerk. Es ist ein Stück Architektur.«
    »Und was unterscheidet es von einem Haus oder Tempel?«
    »Ich würde sagen, es wird nicht benutzt, jedenfalls nicht wie man ein Haus oder eine Kirche benutzt. Es steht nur da und sagt: Seht her!«
    »Aber es hat doch einen Zweck, richtig? So wie ein Haus einen Zweck hat?«
    »Ich weiß nicht, ob ich sagen würde, es ist nützlich… aber es dient einem Zweck, ja. Aber keinem sehr praktischen.«
    »Genau. Es ist ein Bauwerk mit einem Zweck, aber der Zweck ist nicht praktisch, er ist spirituell… symbolisch zumindest. Ein Monument demonstriert Macht, Vorrangstellung; oder erinnert an ein Ereignis, das viele Menschen betrifft. Es ist eine physische Angelegenheit, aber seine ganze Bedeutung, sein ganzer Nutzen ist geistiger Natur.«
    »Das gilt auch für die Chronolithen?«
    »Das ist die Frage. Als Waffe ist der Chronolith relativ bedeutungslos. Der Chronolith an sich erfüllt keinen besonderen Zweck. Er ist ein toter Gegenstand. Sein wirklicher Zweck gehört dem Reich von Bedeutung und Auslegung an. Und da wird auch die Schlacht geschlagen, Ashlee.« Sie klopfte sich mit drei Fingerspitzen an die Stirn. »Die eigentliche Architektur ist hier oben. Nichts in der materiellen Welt lässt sich mit den Monumenten und Kathedralen vergleichen, die wir in unseren Köpfen bauen. Manches von dieser Architektur ist schlicht und stimmig, manches barock und manches schön und anderes hässlich und gefährlich unsolide. Aber diese Architektur zählt mehr als jede andere, weil sie der Stoff ist, aus dem wir die Zukunft machen. Die Geschichte besteht nur aus den fossilen Rückständen dessen, was sich Männer und Frauen haben einfallen lassen. Verstehen Sie? Und die Genialität eines Kuin hat nichts mit den Chronolithen zu tun; die Chronolithen sind nur Technik, Menschen lassen die Natur durch den Reifen springen. Die Genialität eines Kuin besteht darin, dass er sie benutzt, um die Gedankenwelt zu kolonisieren, um seine Architektur direkt in unsere Köpfe zu bauen.«
    »Er bringt uns dazu, an ihn zu glauben.«
    »An ihn, seine Macht, seine Herrlichkeit und sein Wohlwollen. Doch vor allem an seine Zwangsläufigkeit. Und genau das will ich ändern. Denn nichts, was mit Kuin zu tun hat, ist zwangsläufig, rein gar nichts. Jeden Tag bauen wir Kuin, wir fabrizieren ihn aus unseren Hoffnungen und Ängsten. Er ist ein Teil von uns. Er ist ein Schatten, den wir alle werfen.«
    Das war an sich nichts Neues. Die Presse hatte schon immer die Politik der Erwartungen debattiert. Aber etwas an Sues Erörterung sträubte mir die Härchen auf den Armen. Es war der Grad ihrer Überzeugung, ihre selbstverständliche Eloquenz. Aber ich glaube, es war mehr. Ich glaube, ich verstand zum ersten Mal, dass sie Kuin einen privaten und ganz persönlichen Krieg erklärt hatte. Mehr noch: Sie glaubte, im Zentrum des Konflikts zu stehen – gesalbt von der Tau-Turbulenz und direkt in die eine Gottheit gebeamt.
     
    Ich traf mich mit Kaitlin zu einem Dinner außer Haus, Fastfood natürlich, was mich den Rest des Reibachs vom Wochenende kostete.
    Kait kam aus dem Apartment über Whits Garage, sie sah tapfer, aber untröstlich aus. Sie hatte die ersten zwei Nächte ohne David verbracht. Die Augen waren mangels Schlaf umschattet, der Teint fahl. Ihr Lächeln wirkte fast verstohlen, als habe sie kein Recht zu lächeln, solange David im Krieg war.
    In einer früher mal farbenfrohen, aber seit kurzem heruntergekommenen Volksküche aßen wir Sandwiches mit Bohnenpaste. Kait wusste, dass Sue Chopra und Ray Mosely in der Stadt waren, aber sie zeigte wenig Interesse an »den alten Tagen«. Sie habe schlecht geträumt. Im Traum sei sie wieder in Portillo gewesen, diesmal aber mit David, und David war in Lebensgefahr, und sie konnte ihn nicht retten. Sie steckte knietief im Sand und über ihr dräute der Kuin von Portillo, grimmig und boshaft, nahezu lebendig.
    Der Traum war nicht schwer zu deuten. Ich hörte zu, bis sie sich alles von der Seele geredet hatte. Schließlich sagte ich: »Hat David von sich hören lassen?«
    »Ein Anruf, als der Bus vor Little Rock war. Seitdem nichts mehr. Ich glaube, das Ausbildungslager hält ihn ganz schön auf Trab.«
    Ja,

Weitere Kostenlose Bücher