Die Clans des Alpha-Mondes: Roman
wenn sie das Endstadium erreicht haben. Es war atemberaubend. Sie zog sich zurück – doch nicht aus Angst, sondern aus Ehrfurcht. Es war wirklich ein Wunder, wie schnell er sich entwickelt hatte. Doch jetzt, fiel Annette ein, würde er so bleiben, wie er war, bis ihn irgendwann ein zu kaltes oder zu warmes Klima oder zuviel Trockenheit umbrachte. In seiner letzten Inkarnation würde er sich sporifizieren, und der Zyklus würde sich wiederholen.
Als der Schimmelschleim das Schiff betrat, kam hinter ihm ein zweiter in Sicht, der ihm folgte. Und dahinter ein dritter.
Chuck Rittersdorf sagte überrascht: »Wer von Ihnen ist Lord Flieh-den-Geiz?«
In Annettes Geist erhob sich ein Schwall von Gedanken. »Es ist bei uns so Sitte, daß der Erstgeborene die offizielle Identität des Ahnen annimmt. Aber in Wirklichkeit gibt es keinen Unterschied. In gewissem Sinn ist jeder von uns Lord Flieh-den-Geiz; in einem anderen Sinn ist es keiner. Ich – der erste – werde den Namen annehmen. Die anderen werden sich einen ausdenken, der ihnen gefällt. Ich habe den Eindruck, daß wir hier funktionieren und erblühen werden; die Atmosphäre, die Luftfeuchtigkeit und die Schwerkraft scheinen für uns in Ordnung zu sein. Sie haben daran mitgewirkt, einen Platz für uns zu finden; sie haben uns über – gestatten Sie, daß ich es ausrechne – mehr als drei Lichtjahre von unserem Ursprung entfernt. Vielen Dank.« Und er – beziehungsweise sie – fügte(n) hinzu: »Ich fürchte, Sie und das Schiff werden gleich angegriffen. Vielleicht sollten wir so schnell wie möglich verschwinden. Deswegen sind wir hereingekommen – jene von uns, die sich schnell genug entwickelt haben.«
»Angegriffen?« fragte Chuck. »Von wem?« Er drückte einen Knopf im Kontrollbord, woraufhin sich die Schleuse schloß. Er nahm Platz und leitete die Startvorbereitungen ein.
»Soweit wir wissen«, fing Annette die Gedanken der drei Schimmelschleime auf, »handelt es sich um eine Gruppe von Einheimischen – um jene, die sich als Manis bezeichnen. Es ist ihnen offenbar gelungen, ein anderes Schiff in die Luft zu sprengen…«
»Oje«, rasselte Chuck Rittersdorf. »Das kann nur Marys Schiff gewesen sein!«
»Ja«, stimmte ihm der Schimmelschleim zu. »Die anrückenden Manis sind gerade fröhlich dabei, sich auf die für sie typische stolze Weise dafür zu gratulieren, daß sie Dr. Mary Rittersdorf erfolgreich haben abwehren können. Sie ist jedoch nicht tot. Die Mannschaft des ersten Schiffes konnte entkommen; sie hält sich gegenwärtig an einem unbekannten Ort auf, und die Manis sind hinter ihr her.«
»Was ist mit den in der Nähe befindlichen terranischen Kriegsschiffen?« fragte Rittersdorf.
»Welche Kriegsschiffe? Die Manis haben irgendeinen neuartigen Schutzschirm um ihre Siedlung gelegt. Im Moment sind sie sicher.« Dann strahlte der Schimmelschleim eine private Mutmaßung aus. »Aber der Schirm wird nicht lange halten, und das wissen sie. Sie sind nur zeitweilig in der Offensive. Sie haben dennoch ihren Spaß dabei.
Sie freuen sich sehr, weil die verblüfften terranischen Formationen bloß sinnlos herumsummen.«
Die armen Manis, dachte Annette. Sie können nichts im voraus erkennen. Sie leben nur für den Tag und ziehen in die Schlacht, als hätten sie eine echte Chance. Aber trotzdem – war ihre eigene Sichtweise etwa besser? War ihre Bereitwilligkeit, die Niederlage hinzunehmen, etwa ein Fortschritt?
Kein Wunder, daß die Mond-Clans alle von den Manis abhängig waren. Die Manis waren die einzigen, die noch Mut hatten. Und die Vitalität, die ihren Mut erst erzeugte.
Wir anderen, dachte Annette, haben schon vor langer Zeit verloren. Bevor die erste Terranerin – Dr. Mary Rittersdorf – hier aufgekreuzt ist.
Gabriel Baines näherte sich mit lumpigen hundert Stundenkilometern der Ortschaft Hamlet Hamlet. Als er das flotte kleine Schiff in den Nachthimmel hinaufrasen sah, wußte er, daß es zu spät war, obwohl er nicht die leiseste Ahnung hatte, wie die Dinge standen. Sein beinahe psionisches Talent sagte ihm, daß Annette sich entweder in diesem Schiff aufhielt oder daß jene, die sich an Bord aufhielten, sie getötet hatten. Auf jeden Fall war sie nicht mehr da; deswegen verlangsamte er das Tempo und empfand Verbitterung und Verzweiflung.
Jetzt gab es buchstäblich nichts mehr, was er tun konnte. Nun konnte er ebensogut wieder nach Adolfville zurückkehren, in seine eigene Siedlung, zu seinen Leuten, um die letzten, tragischen Tage
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