Die Clans von Stratos
haben. Ihr habt hochgebildete Ökologinnen an euren Universitäten, aber Zahlen sind kein Ersatz dafür, in die Natur hinauszugehen und es selbst anzuschauen.«
Obwohl Maia Rennas Gesicht in der Dunkelheit nicht genau sehen konnte, wirkte er nicht mehr so niedergeschlagen wie noch vor kurzem. Maia erwischte sich dabei, wie sie überlegte, ob seine Augen bei Tag wohl seltsam funkelten, oder ob seine Haut, die sie nur im Laternen- oder Mondlicht gesehen hatte, vielleicht eine sonderbare, exotische Farbe hatte.
Vielleicht war es falsch, den Gesichtsausdruck des Fremdlings anhand ihrer eigenen Erfahrung zu interpretieren, aber Renna schien es ausgesprochen anregend zu finden, hier draußen zu sein, weg von Städten und Savanten und vor allem von seiner Gefängniszelle. Jetzt konnte er endlich die Natur von Stratos kennenlernen. Seine Begeisterung wirkte ansteckend.
»Alles in allem sieht es so aus, als hätten eure Gründerinnen ziemlich gute Arbeit geleistet und an den mitgebrachten Menschen, Pflanzen und Tieren kluge Veränderungen vorgenommen, ehe sie sie ins Ökosystem eingepaßt haben. Natürlich haben sie auch Fehler gemacht, das ist ja nichts Ungewöhnliches…«
Es klang blasphemisch, wenn ein Outsider so etwas sagte. Perkiniten oder andere Ketzer kritisierten bekanntlich manche Aspekte im Werk von Lysos und den anderen Gründerinnen, aber nie zuvor hatte Maia gehört, daß jemand ihre Kompetenz in Frage stellte.
»… aber die Zeit hat die meisten Irrtümer korrigiert, durch Ausrottung oder Anpassung. Es ist genug Zeit vergangen, daß die Dinge ins Lot kommen konnten, jedenfalls bei den niederen Lebensformen.«
»Na ja, es waren schließlich mehrere Jahrhunderte«, erwiderte Maia.
Renna legte den Kopf schief. »Glaubst du, so lange schon haben Menschen auf Stratos gelebt?«
Maia runzelte die Stirn. »Hmmm… ja. Ich erinnere mich nicht an die genaue Zahl. Spielt das eine Rolle?«
Er betrachtete sie mit einem Gesichtsausdruck, der ihr komisch vorkam. »Ich denke nicht. Aber es deckt sich mit der Art, wie ihr eure Kalender…« Renna brach kopfschüttelnd ab. »Lassen wir das. Sag, ist das der Sextant, von dem du mir erzählt hast? Den du benutzt hast, um meine Längenmessung zu berichtigen?«
Maia warf einen Blick auf ihr Handgelenk und das kleine Instrument in seiner Lederhülle. Renna schmeichelte ihr wieder einmal. Sie hatte die Koordinaten, die er im Gefängnis berechnet hatte, nur minimal verbessert. »Möchtest du ihn sehen?« fragte sie, schnallte den Sextanten los und hielt ihn Renna hin.
Er nahm ihn behutsam entgegen, fuhr mit den Fingerspitzen über den eingravierten Zeppelin auf dem Messingdeckel, klappte das Instrument dann auseinander und prüfte die Meßvorrichtung. »Ein wunderschönes Stück«, bemerkte er. »Handarbeit, hast du gesagt? Ich würde die Werkstatt zu gerne sehen.«
Maia schauderte bei dem Gedanken. Sie hatte die Nase voll von Männerreservaten.
»Ist das die Skala, mit der du den Azimut einstellst?« fragte er.
»Azimut? Oh, du meinst die Sternenhöhe. Natürlich braucht man einen guten Horizont…«
Bald waren sie in ein Gespräch über die Kunst der Navigation vertieft, bei dem sie sich durch einen Wust von Bezeichnungen arbeiteten, die sie aus so vollkommen unterschiedlichen Traditionen geerbt hatten – seine benutzte komplizierte Maschinen, um unvorstellbare Entfernungen zu durchmessen, ihre war das Erbe unzähliger Generationen, die im Kampf mit Stratos’ launenhaften Ozeanen hart erlernte Regeln immer wieder verfeinert hatten. Mit großem Respekt sprach Renna von Techniken, die in seinen Augen doch primitiv wirken mußten, wenn man sich vor Augen führte, woher er kam – von den Lichtern, die Maia als Orientierungspunkte am Himmel dienten.
Manchmal, wenn der Mond über die Canyonwand direkt auf Rennas Gesicht schien, staunte Maia wieder, wieviel stärker die subtilen Unterschiede plötzlich hervortraten. Der lange Schatten seiner Wangenknochen, die Pupillen, die sich im Dämmerlicht viel weiter öffneten als bei stratoinischen Augen. Wäre ihr das auch aufgefallen, wenn sie nicht gewußt hätte, wer – oder was – er war?
Als Baltha eine Rast ausrief, brachen sie ihre Diskussion ab. Die Anführerin zeigte ihnen einen Pfad, auf dem sie ihre müden Reittiere ans kiesige Ufer führen konnten, wo alle absaßen. Zuerst mußten sie die Füße und Knöchel der Pferde trockenreiben, um die Durchblutung in den Körperteilen anzuregen, die so lange im kalten Wasser
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